Der Ausbau zum Grenzbahnhof zwischen 1951 und 1960

Der Bahnhof Küstrin-Kietz wurde ab 1951 zu einem Grenzbahnhof ausgebaut. Schon in den späten 1940er Jahren liefen viele Militärtransporte der Roten Armee und Reparationsgüter über den Bahnhof, der Bahnhof Küstrin-Altstadt wurde erst um 1952 wieder in Betrieb genommen. Dies weckte natürlich auch das Interesse des westlichen Besatzungsmächte, so dass der Bahnhof zu einem Spionageziel wurde. In den letzten Jahren freigegeben Akten der CIA zeigen, wie gut man über die Anzahl und Art der Transporte informiert war. Auch über die Ausbauarbeiten wusste der amerikanische Geheimdienst Bescheid. Die Anzahl der Exportzüge auf dem Grenzbahnhof entwickelte sich nur zögerlich, im Jahre 1956 passierten nur 2 bis 3 dieser Züge täglich den Bahnhof. Deren Anzahl stieg bis Anfang der 1960er Jahre dann auf 10 bis 12 Züge.

Am 6. Dezember 1950 besichtigten drei sowjetische Offiziere und ein Zivilist aus Warschau den Bahnhof und berieten über den weiteren Ausbau. Man plante, auf dem Bahnhof 14 weitere Gleise zu errichten. Zu diesem Zeitpunkt verfügte der Bahnhof über 6 Gleise. Den Sowjets war das Interesse westlicher Geheimdienste wohl bewusst: Beim genannten Vor-Ort-Termin mussten sich laut eines weiteren CIA-Berichtes alle Mitarbeiter des Bahnhofs vor den sowjetischen Offizieren versammeln. Die Namen der Mitarbeiter, die Verwandtschaft im Westen hatten, wurden notiert. Die Arbeiten am Bahnhof sollten am 1. März 1951 beginnen. Man rechnete laut CIA-Berichten anfangs mit einem Bedarf von 400 – 700 Arbeitskräften und Kosten von 2 bis 4 Millionen DM.

Anfang Februar 1951 besichtigen Mitarbeiter der Eisenbahnverwaltung die Gebäude, die für die Erweiterung des Grenzbahnhofes abgerissen werden sollten. Es sollte sich dabei um bis zu 25 Gebäude handeln, von denen viele erst wieder bewohnbar gemacht worden waren und zu dieser Zeit noch bewohnt waren. Dies stieß aufgrund der großen Wohnungsnot im Ort auf das Unverständnis der Bürger. Zu den Gebäuden, die im Laufe der 1950er Jahre dem Bahnhof weichen mussten, gehörten unter anderem die Häuser von:

  • Ofensetzer Görlitz
  • Hausschlächter Walter Füchsel
  • Edmund Pahl an der Ecke Karl-Marx- und Marktstraße (vor dem Krieg Gaststätte „Zum Schwan“). Dabei handelte es sich um das erste, nach dem Krieg, in Küstrin-Kietz neu errichtete Neubauernhaus. Es war erst im Sommer 1948 fertiggestellt worden.
  • Familie Barleben (hinter dem Haus von Edmund Pahl an der Marktstraße gelegen)
  • Elektrikermeister Otto Grube (an der Ecke zur Ziegeleistraße)
  • Familie Nulsch, eine ehemalige Zigarrenhandlung (etwa gegenüber den Haus von Friedhelm Schmidt)
  • Familie Keßner, (ehem. Nebengelass)
  • das erst nach dem Krieg neu erbaute Zollhaus an der Bahnhofszufahrt und auch die Zufahrtsstraße selbst
  • sowie die ehemalige Schmiede von Max Große, in der bis dato auch das Gemeindebüro und die Post untergebracht gewesen waren und auch dessen Nachbarhaus.

Diese Liste ist nicht komplett und nennt nur einige Beispiele an der Nordseite der Karl-Marx-Straße. Insgesamt standen dort (Stand 1950/51) noch:

  • 4 relativ komplette Häuserensembles (mit Wohnhaus, Stall, Scheune, etc.)
  • 6 einzeln stehende Wohnhäuser
  • 4 zu Wohnhäusern umgebaute Nebengelasse
  • 9 Ställe / Scheunen
  • 6 Ruinen

Die folgenden vier Ausschnitte zeigen die im Jahre 1951 noch erhaltenen Gebäude an der nördlichen Karl-Marx-Straße, deren Nutzung und welche der Grundstücke die Deutsche Reichbahn zu diesem Zeitpunkt bereits für die Erweiterung des Bahnhofes erworben hatte. Die roten Bezeichnungen habe ich zur besseren Orientierung eingetragen. Auf den Plänen verwendete Abkürzungen: Ru = Ruine - Whs. = Wohnhaus

noerdliche karl marx strasse kuestrin kietz 1951 1Bild 18: Plan der nördlichen Karl-Marx-Straße, 1/4. (Quelle: Brandenburgisches Landeshauptarchiv Potsdam, Rep. 601 RdB FfO Nr. 26632)

noerdliche karl marx strasse kuestrin kietz 1951 2Bild 19: Plan der nördlichen Karl-Marx-Straße, 2/4. (Quelle: Brandenburgisches Landeshauptarchiv Potsdam, Rep. 601 RdB FfO Nr. 26632)

noerdliche karl marx strasse kuestrin kietz 1951 3Bild 20: Plan der nördlichen Karl-Marx-Straße, 3/4. (Quelle: Brandenburgisches Landeshauptarchiv Potsdam, Rep. 601 RdB FfO Nr. 26632)

noerdliche karl marx strasse kuestrin kietz 1951 4Bild 21: Plan der nördlichen Karl-Marx-Straße, 4/4. (Quelle: Brandenburgisches Landeshauptarchiv Potsdam, Rep. 601 RdB FfO Nr. 26632)

Der Rest der Grundstücke war zu dieser Zeit bereits enttrümmert. Auch die Ziegeleistraße sowie die Marktstraße (vorm. Kaiserstraße) wurden unterbrochen und der Kietzer Marktplatz verschwand völlig. Der Marktplatz wurde auch nach dem Krieg noch genutzt, dort war unter anderem auch immer mal wieder ein Rummel zu Gast.

Während die Bürger in der Bundesrepublik Entschädigungen für ihre Kriegsschäden beim Lastenausgleichsamt beantragen konnten, lief dies in der DDR etwas anders. Für den Bahnhofsneubau in Küstrin-Kietz ist überliefert, dass die Höhe der Entschädigung / des Kaufpreises vom Zustand des Grundstücks und der dortigen Gebäude abhängig war. Grundstücke, auf denen durch den Krieg alle Gebäude zerstört wurden, wurde teils nur noch als Ackerfläche eingestuft. Damit erhielten, die Eigentümer, die durch den Krieg alles verloren hatten, für ihr Grundstück auch die niedrigsten Entschädigungen bzw. Kaufpreise. Dort, wo noch Gebäude standen, war die Entschädigung dementsprechend höher. Wurde man sich mit den Eigentümern nicht einig, drohte man auch schon mal mit Enteignung. Ein Schriftwechsel aus der Zeit zwischen 1951 und 1954 belegt, wie teils beim Bau des Bahnhofs vorgegangen wurde: Ein Stück Ackerland wurde 1952/53 durch die Deutsche Reichsbahn für die Verlegung des Norkgrabens und den Bau einer Zufahrtsstraße „in Anspruch genommen“. Erst auf wiederholter Rückfrage durch die Eigentümer, trat man 1954 mit der Familie zwecks Kauf in Kontakt, der entsprechende Vertrag wurde erst im November 1954 abgeschlossen.

Grundstckserwerb 1954

Bild 22: Tei der Korrespondenz zwischen der Deutschen Reichsbahn und einer Grundstückseigentümerin (Quelle: Archiv Andy Steinhauf)

Auch der Bau des Verbindungsgleises zwischen den Strecken nach Frankfurt (Oder) und Berlin (Gleis 16) begann etwa Mitte 1951. Man baute zuerst die beiden benötigten Weichen ein, der weitere Bau der Kurve verzögerte sich - wahrscheinlich aufgrund fehlender Gleise - etwas. Um 1952 folgte das zweite Verbindungsgleis und die beiden mechanischen Stellwerke W1 (an der Berliner Strecke) und W2 (an der Frankfurter Strecke). Im Oktober 1952 wurde die Arbeiten am Grenzbahnhof unterbrochen und viele Arbeiter nach Fürstenberg (Oder) geschickt.

W2Bild 23: Stellwerk W2 (Quelle: Archiv Andy Steinhauf)

Am späteren Standort des Güterbodens befand sich bis mindestens August 1954 ein Schrottplatz mit eigenem Gleisanschluss (Gleis 12), der bis 1949 der Firma Zickelbein und Söhne gehörte. In diesem Jahr wurde sie enteignet und später zur „Außenstelle Küstrin“ der „Volkseigenen Handelszentrale (VHZ) Schrott, VEB Eberswalde“. Im Jahre 1954 wurde das Grundstück, auf dem sich der Schrottplatz befand, der Deutschen Reichsbahn übereignet, um es für den Ausbau des Grenzbahnhofes nutzen zu können. An dieser Stelle wurden später die Gleise 55 – 61 sowie die Güterabfertigung und der Güterboden errichtet. Nachdem der Schrottplatz wahrscheinlich um 1955 dort geschlossen wurde, wurde er nach Golzow verlegt. Auch hier finden Sie weitergehende Informationen in meinem bereits erwähnten Buch „Die wirtschaftliche Entwicklung in Küstrin-Kietz von 1945 bis 1995“.

Um die Dampfloks besser mit Wasser versorgen zu können, wurde 1954 der Wasserturm am Rosendamm samt Kanalisation gebaut. Im gleichen Jahr begann wohl auch der Bau der Werkstatt der Wagenmeister.

Das Jahr 1954 war das Jahr der Umbenennungen für Küstrin-Kietz (siehe auch mein Artikel „Friedensfelde, Kreis Seelow – Chronologie einer Farce“). Ab dem Sommerfahrplan (gültig ab 23. Mai 1954) wurde der Bahnhof für den Personenverkehr von „Küstrin-Kietz“ in „Kietz“ umbenannt, für den Güterverkehr hieß er weiter „Küstrin-Kietz“. Dazu gab es noch den Tarifberechnungspunkt „Küstrin Altstadt“. Mit Inkrafttreten des Winterfahrplans 1954/55 am 03. Oktober 1954 wurde der Bahnhof nun auch für den Güterverkehr in „Kietz“ und der Tarifberechnungspunkt „Küstrin Altstadt“ in „Kietz Grenze“ umbenannt. Ein ehemaliger Reichsbahnlehrling aus Lebus erinnert sich an die Umbenennung: „1954 war ich als Lehrling auf dem Bahnhof Küstrin-Kietz als unsere Gruppe zu Achim Welke gerufen wurde. Er erklärte uns den Umgang mit Rasierklingen - dann brachte er viele Stempel und wir schnitten "Küstrin" einfach raus.

Mit dem Bau der Gleise 23 – 26 zwischen den zwei vorhandenen Frankfurter Gleisen und der Karl-Marx-Straße zwischen 1952 und 1954 wurde auch das mechanische Stellwerk W3 gegenüber der Schule errichtet. Infolge des Baus dieser Gleise wurde die Bahnhofszufahrt geschlossen und das dort erst wenige Jahre zuvor errichtete Zollhaus abgerissen. Auch die mittleren Teile der Ziegeleistraße und der Marktstraße verschwanden aus dem Ortsbild. damit raubte man dem Kietz das frühere Zentrum. Als neue Zufahrt zum Bahnhof wurde die Ladestraße bis zum schwarzen Weg verlängert. Über den Zeitpunkt des durch den Bau der Gleise 23 – 26 notwendig gewordenen Neubaus einer längeren Fußgängerbrücke gibt es verschiedene Meinungen, eine Infotafel am Bahnhof Küstrin-Kietz nennt z.B. das Jahr 1974 als Baujahr. Dies ist definitiv falsch, denn das Foto vom Bau des Kulturhauses der Eisenbahner (Bild 25) im folgenden Kapitel zeigt, dass die Brücke schon fertiggestellt war, als man am Kulturhaus noch baute. Die noch heute existierende Brücke muss also um 1954 fertig geworden sein. Das Kulturhaus wurde im Jahre 1955 eröffnet.

Nach 1955 - das genaue Baujahr ist leider nicht bekannt – wurde der Güterboden und die Güterabfertigung errichtet, um 1958/59 folgte das Basa-Gebäude. Dort war dann nicht nur die Vermittlung untergebracht, sondern auch weitere Arbeitsräume und eine Wohnung für den Leiter dieser Anlage.

Basa GebaeudeBild 24: Das Basa-Gebäude, Rückseite. In der Bildmitte steht noch das ehemalige Schrankenwärterhäuschen von Posten 57, dem Bahnübergang am Kietzer Ausbau. (Foto: Horst Herrmann/VfdGK)