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Neumärkische Zeitung
110. Jahrgang       Ausgabe vom 3. Dezember 1930
Nichts ist ewiger als der Wechsel
Die Niederlegung des Küstriner "Hohen Kavaliers"

Wälle und Gräben und Tore, die der Altstadt Küstrins jede Bewegungsmöglichkeit nahmen, sind in der Nachkriegszeit immer mehr verschwunden. Mit Spaten und Picke, Bohrer und Sprengstoff ist man ihnen zu Leibe gegangen. Und ob sie sich noch so schmücken, ob die für Jahrhunderte berechneten Bauwerke selbst den modernsten technischen Hilfsmitteln Widerstand boten, sterben mußten sie, damit die Altstadt leben kann.

Dem Untergang geweiht ist nun auch das letzte, nach der Neustadt zu gelegene Bollwerk der Festung, der "Hohe Kavalier". Jahrhunderte hindurch - 1520 begann man mit dem Bau - hat es die Festung beherrscht. Kriegsscharen der verschiedensten Völker zogen an ihm vorüber, haben um ihn gekämpft, haben in ihm als der Freiheit beraubte gesessen. Schweden und Russen, Österreicher und Franzosen. Kaiser und Könige haben auf ihm gestanden und staunend und bewundernd Macht und Stärke dieser Festung erkannt.

Zwei Ereignisse, die Empörung der 4000 Österreicher und die Besichtigung durch Napoleon I. sind mit dem "Hohen Kavalier" verknüpft. Lassen wir beide noch einmal an uns vorüberziehen:

15. Juli 1762

Auf den sturmerprobten Wällen der märkischen Festung patrouillieren Soldaten, schauen ins Land hinaus, begierig auf neue Siegeskunde, die dem jahrelangen Kämpfen endlich Halt gebietet. Zu ihnen kam Schutt und Asche. Die 1758 von den Russen in Brand geschossene Stadt ist noch nicht wieder entstanden, die Tausende von Gefangenen beherbergen. Stimmengewirr, verdächtig wegen seiner Stärker und immer noch anschwellend, dringt da plötzlich ans Ohr der Posten, und bald ist es jedem klar: Die 4000 Österreicher wollen die schwache Besatzung über den Haufen rennen, den Pulverturm sprengen und dann die Freiheit gewinnen. Überaus groß ist die Gefahr für Stadt und Festung. Nur schnell entschlossenes Handeln kann hier noch Rettung bringen. Und der Retter naht: "Leutnant Thiele, ein alter Soldat, wirft sich mit 36 Mann den Aufrührern entgegen. Die Gefangenen werden zurückgedrängt, doch Thiele hat seine Entschlossenheit, seinen unerschrockenen Mut mit dem Tode bezahlt.

Ein Menschenalter später. Wieder fordert der Krieg seine Opfer. Doch jene opferfreudige Vaterlandsliebe ist leider nicht überall mehr zu finden. Ein unfähiger Kommandant hat die Festung ohne Grund den Franzosen übergeben. Und am 22. November 1806 mustert Napoleon I. von der Höhe des Kavaliers aus mit kritischem Blick die Lage der Festung. Ein stolzes Lächeln gleitet über seine Züge: "Cest uno forteresse formidable".

Mehr als ein Jahrhundert ist inzwischen verrauscht. Wechselvoll ist auch in der Folgezeit das Schicksal des "Hohen Kavaliers" geblieben; bis zum letzten großen Kriege ein Magazin für Granaten und Schrapnells, für Artillerie- und Festungsgerät aller Art, während der Kriegsjahre Kaserne für Tausende von 48ern. Wanderfrohe Gesellen haben oben auf luftiger Höhe übernachtet, wenig begeistert von der kurze Zeit hier befindlichen Jugendherberge, um so mehr aber von dem zu allen Jahreszeiten reizvollen Blick in das Oder- und Warthetal.

Doch nun klaffen lange Risse in die Mauer, herabgestürzte Erdmassen und Gesteintrümmer zeugen von seiner Baufälligkeit, die ja auch äußerlich durch die Absperrung zum Ausdruck kommt.

Bald werden Hacke und Spaten die erste Bresche in das Mauerwerk legen. Mehr als 30 000 Kubikmeter Mauerwerk und fast ebensoviel Erdmassen müssen hinweggerollt werden, um den Verkehrsstörenden Riesen von der Bildfläche verschwinden zu lassen. Jahre werden darüber vergehen, aber geschafft wird die Arbeit. Wassergräben und Sümpfe werden weiter verschwinden, und in einigen Jahren wird nur noch ein Kavalierplatz oder eine Kavalierstraße an dieses Festungswerk erinnern. "Nicht ist ewig als der Wechsel!"