Die einklassige Dorfschule in Kietz bei Küstrin
Dieses Foto aus der Zeit um 1918 zeigt die Schule in der Kaiserstraße 65 in Kietz bei Küstrin (Bildmitte), rechts daneben das zugehörige Nebengelass und dahinter des Spritzenhaus der Gemeinde. Der Marktplatz (im Vordergrund) diente während dieser Zeit auch als Apellplatz
Seit ihrer Neu-Einweihung am 17. September 1819 bis zur Eingemeindung in die Stadt Küstrin am 1. Oktober 1929 verfügte die Gemeinde Kietz bei Küstrin über eine eigene, einklassige Dorfschule (auch: Landschule). Sie befand sich in der Kaiserstraße 65 (heute Marktstraße; etwa am Standort des Hauses Köhler), an der Südseite des Kietzer Marktplatzes. Neben den Schulräumen befand sich im Haus auch die Wohnung des Lehrers. Ein kleines Nebengelass sowie ein Garten gehörten ebenfalls dazu. Die Schule wurde aber nicht nur für den Unterricht genutzt, sondern auch für die Versammlungen der Gemeindevertretung. Auch für andere Zwecke wurden die Schulräume bereitgestellt, 1904 zum Beispiel, ist die Nutzung als Konfirmandenzimmer dokumentiert. Die Schule verfügte über eine eigene kleine Bibliothek. Äußerlich wirkte das Gebäude aber nicht wie eine Schule, sondern wie eines der typischen Bauernhäuser im Ort.
Links ist der Markplatz und die kleine Kietzer Dorfschule zu sehen.
Die Gemeinde beschäftigte einen Lehrer (zwischen 1819 und 1929 hatten diese Lehrerstelle nur drei verschiedene Personen inne), eine Handarbeitslehrerin und eine Schuldienerin, die bekannten Personalien werden in den Tabellen am Ende des Textes genannt. Nur aus dem Jahre 1898 ist es überliefert, dass der pensionierte Lehrer Fenger aus der Wilhelmstraße vertretungsweise 24 Unterrichtsstunden für Theodor Diede hielt. Die Leitung der Schule erfolgte durch einen Schulvorstand, der sich aus sechs Schulvorstehern und dem aktuell tätigen Lehrer zusammensetzte. Das am frühesten zeitlich einzuordnende Mitglied des Schulvorstandes trat sein Amt um 1823 an. Aus den 1830/40er Jahren ist überliefert, dass es Tradition gewesen sei, dass der Gemeindevorsteher auch Mitglied des Schulvorstandes war. Die Mitglieder waren somit:
- der Ortspfarrer (er war auch Archidiakon oder Superintendent der Pfarrkirchengemeinde Küstrin)
- der Gemeindevorsteher / Schulze
- sowie vier weitere Schulvorsteher, die durch die Gemeindevertretung gewählt wurden
Laut dem "Protokollbuch des Schulvorstandes zu Kietz 1836-1860" traf man sich bis 1838 einmal pro Quartal, ab 1839 nur noch dreimal pro Jahr. In den 1840ern wurden die Treffen noch unregelmäßiger.
Auch an der Schule in Kietz bei Küstrin musste Schulgeld bezahlt werden, wie üblich zahlten Auswärtige mehr als die Ortsansässigen. Zu den Auswärtigen gehörten z.B. auch Küstriner Bürger, die aus Kostengründen nach Kietz zogen. Im bereits erwähnten Protokollbuch sind aber auch Fälle verzeichnet, in denen die Eltern sich das Schulgeld nicht leisten konnten; es finden sich aber auch Schüler in den Protokollen, die zum Beispiel während der Erntezeit nur selten oder auch wochenlang überhaupt nicht die Schule besuchten. Überliefert sind also nur die "Problemkinder".
Aus den Protokollen der Gemeindevertretung ab 1893 ist ersichtlich, das die Gemeinde immer wieder Geld und Arbeit in die Reparatur des Schulhauses stecken musste, erwähnt werden sich teils wiederholende Arbeiten am Dach, am Schulraum und an der Lehrerwohnung. Auch für deren Ausstattung war die Gemeinde verantwortlich, die Protokolle nennen dabei beispielsweise die Anschaffung neuer Gardinen und Arbeiten an der Küche. Aus dem Protokoll der Gemeindevertretersitzung vom 2. März 1903 sei hier ein Beispiel genannt: "Zu Punkt 4 wurde beschlossen, eine Dachrinne am Schulhause anbringen zu lassen. Die Thür der Küche, welche den Ausgang nach dem Hausflur bildet, ist zuzumauern und die Thür nach dem Hofe zu mit einer Doppelthür zu versehen."
Die Lehrerfamilie Diede
Foto: Grab des Lehrers Theodor Diede auf dem "Alten Kietzer Friedhof"
Zum 1. Oktober 1909 ging der damalige Lehrer Theodor Diede in Pension - der am 01.06.1839 geborene Lehrer war seit 1870 an der Schule tätig gewesen. Am 28.09.1909 beschloss die Gemeindevertretung, ihm zu seinem Ruhestand ein Geschenk im Wert von 50 Mark - in Form eines Sessels - zu bewilligen und ihm ein Festessen zu bereiten. Da die Wohnung im Schulhaus dem Lehrer vorbehalten war, zog er nach seiner Pensionierung nach Küstrin, in die Lange Vorstadt 79a. Theodor Diede starb am 16.11.1913 und wurde neben seiner Frau Amanda (geb. Schmidt) auf dem Kietzer Dorffriedhof beigesetzt - sie war bereits im Jahre 1907 verstorben. Beide Gräber auf dem "Alten Kietzer Friedhof" sind noch erhalten. Auf der Rückseite seines Grabsteines steht geschrieben: "Ein guter Vater seinen Kindern. Ein treuer Lehrer seinen Schülern. Freund und Berater seinen Mitmenschen. Alles für andere, für sich nichts."
Otto Waldemar Diede (* 23.11.1880 in Kietz), ein Sohn von Theodor D. wurde auch Lehrer. Er arbeitete vom 15. Oktober 1901 bis zum 31. März 1905 im Volksschuldienst an der Elementar-Knabenschule in Küstrin-Altstadt und war zeitgleich Organist an der Marienkirche. Danach wirkte er in verschieden Schulen in Berlin, u.a. am Hohenzollern-Lyzeum.
Hugo Diede (*1869), wohl auch ein Sohn des Lehrers, trat ebenfalls eine Lehrerlaufbahn an. Er lebte bis etwa 1901 mit im Schulhaus und danach in der Friedenstraße 16. Er lehrte an der Elementar-Knabenschule in der Altstadt (Schulstraße 67) und war 1928 deren Konrektor. Auch an anderen Schulen, wie der Elementar-Mädchenschule der Altstadt oder der Gewerblichen Fortbildungsschule wird in den Küstriner Adressbüchern ein Lehrer Diede genannt - allerdings ohne Vornamen. Hugo Diede und seine Frau Martha starben 1945 (wohl an Hungertyphus). Beide sind auch auf dem "Alten Friedhof" in Küstrin-Kietz beigesetzt.
Im Jahre 1905 waren übrigens Hugo und Otto Diede an der Knaben-Elementar- sowie an der Abendschule der Gewerblichen Fortbildungsschule in der Altstadt tätig. Nachdem ich nun etwas in die Geschichte der Familie Diede abgeschweift bin, möchte ich nun zum eigentlichen Thema zurück kommen. Da wohl, die durch den in den Ruhestand verabschiedeten Lehrer Diede vakant gewordene Lehrerstelle nicht so schnell neu besetzt werden konnte, schlug die Kreisverwaltung des Kreises Königsberg/Neumark der Gemeinde die gastweise Einschulung der Kinder in der Schule der Langen Vorstadt vor, was die Gemeinde aber ablehnte. Man hatte wohl Angst, als Ort und Amtsbezirk einen Teil seiner Unabhängigkeit zu verlieren. Diese Befürchtungen kann man gut nachvollziehen, wenn man bedenkt, dass die Stadt Küstrin schon seit Mitte der 1890er Jahre versuchte, Kietz einzugemeinden. Der Gemeinde wurden schließlich von der Regierung die folgenden drei Lehrer als Nachfolger von Theodor Diede vorgeschlagen:
- Lehrer Korthals aus Bleyen
- Lehrer Wilke aus Gorgast
- Lehrer Kientopf aus Cüstrin
Diese Auswahl wurde den Gemeindevertretern am 10. November 1909 vorgelegt, um eine Wahl zu treffen. Die Wahl eines neuen Lehrers wurde jedoch noch einmal verschoben, da man sich erst mit Pfarrer Parade beraten wollte. Obwohl sich die Gemeindevertreter Lehrer Wilke wünschten, wurde zum Nachfolger von Theodor Diede schließlich Richard Böhme aus Grimnitz gewählt.
Im Dezember 1909 beschwerte sich die zuständige preußische Aufsichtsbehörde im über den Zustand der Kietzer Schule. Man beschloss 1910, die Mängel zu beseitigen und den Maurermeister Vockeroth aus Küstrin damit zu beauftragen. Im Januar 1914 wurde dann der Beschluss gefasst, im Jahre 1919 mit dem Neubau einer Schule zu beginnen. Bis dahin sollten die Schulden, die die Gemeinde für den Bau der Kanalisation aufgenommen hatte, zum großen Teil getilgt sein. Ob der Beschluss im Jahre 1915 schon wieder hinfällig war, ist unbekannt. Fakt ist aber, dass man die Schule im Jahre 1915 mit einem Gasanschluss ausstattete - obwohl das Haus ja 4 Jahre später durch einem Neubau ersetzt werden sollte. In den erhaltenen Protokollen des Jahres 1919 findet man aber keine Beschlüsse zum Thema. Es ist auch nicht überliefert, dass dieser Neubau jemals umgesetzt wurde. Man kann davon ausgehen, dass zuerst der Erste Weltkrieg und dann die Inflationszeit zu Beginn der 1920er Jahre, der Gemeinde einen Strich durch die Rechnung machten.
Mit der Eingemeindung des Dorfes wurde die Schule geschlossen, somit mussten die Kietzer Kinder die frühere Schule der Langen Vorstadt besuchen, die seit 1929 die einzige Schule für den neu gegründeten Küstriner Ortsteil Küstrin-Kietz darstellte. Diese Schule in Küstrin-Kietz steht ja, wie bekannt ist, noch heute.
Hinweis: Die folgend genannten Zeitangaben sind als "mindesten von - bis" zu interpretieren, sofern nicht anders angegeben. Die Namen sind leider nur lückenhaft überliefert.
Schulvorstand
Von | Bis | Name | Beruf |
---|---|---|---|
20.01.1836 | 16.01.1839 | Schulz | Superintendent |
20.01.1836 | 01.10.1838 | Tismer, Heinrich | |
17.11.1838 | 17.09.1848 | Engel, Martin Gottfried | |
19.12.1849 | Tismer, Gottlieb | ||
25.06.1851 | 07.03.1860 | Hamann, Martin | Kietzergutsbesitzer |
1823 | 03.02.1848 | Wilhelm, Carl | Kietzerwirth |
20.01.1836 | 06.10.1842 | Tismer, Gottlieb | Kietzerwirth |
20.01.1836 | 25.01.1844 | Goltze, Gottlieb | Kietzerwirth |
12.11.1839 | 19.12.1855 | Lüders | Archidiaconus |
07.03.1860 | Siegel | Superintendent | |
18.01.1843 | 19.12.1849 | Hamann, Martin | Fischerei-Eigenthümer |
19.06.1844 | 19.12.1855 | Engel, Ludwig | |
19.12.1849 | 07.03.1860 | Ewald, Gottlieb | Kietzergutsbesitzer |
19.12.1855 | Engel, Gottlieb | Kietzergutsbesitzer | |
19.12.1855 | 07.03.1860 | Hamann, Johann Friedrich | Kietzergutsbesitzer |
18.09.1896 | 01.07.1900 | Ewald, Carl | |
08.06.1898 | ca. 1915 | Gückler, Robert | Gutsbesitzer |
14.07.1900 | mind. 1920 | Schwan, Wilhelm | Gutsbesitzer |
10.11.1909 | 09.07.1914 | Engel, Reinhold | Gutsbesitzer |
10.11.1909 | Grasnick, Paul | ||
01.08.1914 | Schmidt, Gustav | Gutsbesitzer |
Lehrer
Von | Bis | Name |
---|---|---|
1819 | 1870 | Richter |
1870 | 30.09.1909 | Diede, Theodor |
21.12.1909 | 1929 | Böhme, Richard |
Richard Böhme arbeitete nach 1929 als Lehrer an der Volksschule Küstrin-Kietz.
Handarbeitslehrerinnen
Von | Bis | Name |
---|---|---|
25.04.1903 | Klepsch | |
25.04.1903 | Klotz, Minna | |
23.02.1907 | 30.09.1913 | Schimming, Elise |
01.10.1913 | 1929 | Böhme |
Elise Schimming aus Küstrin arbeitete vorher (belegbar 1899 bis 1907) an der Volksschule in der Langen Vorstadt als Handarbeitslehrerin.
Schuldienerinnen
Von | Bis | Name |
---|---|---|
1897 | 1899 | Trosky, Charlotte (?) |
28.09.1901 | Mind. 1920 | Lutz |
Quellen:
- Protokollbuch des Schulvorstandes zu Kietz 1836-1860
- Beschlussbuch Gemeindevertreter Kietz 1892 - 1919
- Preußische Lehrerkartei
- Die Geschichte des Dorfes Kietz von Richard Schultze
- Verschiedene Adressbücher der Stadt Küstrin