Zur Pfarrkirchengemeinde gehörten auch Kietzerbusch, Neu-Bleyen, Küstrin-Kietz (bzw. früher Kietz bei Küstrin und die Lange Vorstadt), sowie bis 1896 auch die Kurze Vorstadt. Der Inhaber der ersten Pfarrstelle hatte neben der Altstadt auch Kuhbrücke und Kietzerbusch mit zu versorgen, der Inhaber der zweiten Pfarrstelle Küstrin-Kietz (bzw. Kietz und die Lange Vorstadt), sowie Neu-Bleyen. In der Marienkirche in der Altstadt und in Kietz (dort im Saal der Herrnhuter Brüdegemeinde, da es keine Kirche gab)  fand der Gottesdienst jeden Sonntag statt, in Neu-Bleyen nur alle vier Wochen. Betrachten wir die Teile der Gemeinde in Küstrin-Kietz und Neu-Bleyen etwas genauer:

Küstrin-Kietz.

Auch für Kietz und die Lange Vorstadt gab es einen Kirchenverein, den "Verein für kirchliche Angelegenheiten in dem Kietz und der Langen Vorstadt Cüstrin". Zu dessen Aufgaben zählte auch dafür Sorge zu tragen, "daß die nothwendigen Mittel zum Bau einer eigenen Kirche, und , bis diese fertig gestellt ist, die Mittel zur Abhaltung von Gottesdiensten und gottesdienstlichen Handlungen hierselbst durch Geldsammlungen aufgebracht werden." Der Bau eines Pfarrhauses in Kietz war mindestens seit 1903 geplant, es gab jedoch Streit um die Entwürfe. Die Umsetzung des Entwurfs von Konsistorial-Baurat Büttner wurde am 04.07.1907 in Anwesenheit des Superintendenten Niemann und des Konsitorialpräsidenten Steinhausen bei der Sitzung der kirchlichen Körperschaften der Pfarrkirchengemeinde beschlossen.

Das Pfarrhaus Küstrin-Kietz in der ZiegeleistraßeDer Bau auf dem Grundstück Ziegeleistraße 86 begann im August 1907 und war  im September 1908 bereits beendet. Das Grundstück war laut Plan wie folgt aufgeteilt (von Nord nach Süd): 3 Meter Weg, 27 Meter Kirchenfront, 10 Meter Weg und 20 Meter Pfarrhausfront. Zum Kirchenbau kam es aber nie, so dass die Gemeinde den Betsaal der Herrnhuter Brüdergemeinde nutzte. Für die zu zahlende Miete erhielt die Gemeinde in der Zeit von 1925 und 1930 jährliche Beihilfen in der Höhe von 350 bis 500 RM.

Ab 1907/08 kursierte auch die Idee für Kietz, die Lange Vorstadt, Kuhbrücke und Neu-Bleyen eine eigene Pfarrgemeinde zu gründen und diese von der Pfarrkirchengemeinde zu trennen. Die Planspiele gingen so weit, dass bereits Etats aufgestellt und Vertragsentwurf erarbeitet wurden. Die Gemeinde sollte den Namen "Cüstrin-Kietz" tragen. In diesem Vertrag sollte festgeschrieben werden, dass der Archidiakon nur noch für diese Gemeinde zuständig sein und nicht mehr in der Pfarrkirche wirken sollte. Mitglieder der neuen Gemeinde sollten das Recht behalten, weiter die Pfarrkirche zu besuchen / zu nutzen. Die neue Gemeinde sollte nicht zum Bau einer Kirche gezwungen werden, solange die Finanzierung nicht gesichert sei. Der Entwurf nennt als Datum der Trennung den 01.04.1909.

Die Ansichten dazu waren allerdings sehr verschieden, so dass sich das Verfahren hinzog. Man merkte noch an, dass man mit der Trennung doch bis nach der Vereinigung von Pfarr- und Schlosskirchengemeinde warten solle. Im Jahr 1914 (!)  wurde zusätzlich die Forderung diskutiert, ob nicht auch Neu-Drewitz und Neu-Schaumburg aus ihren Kirchengemeinden herausgelöst und der neuen Gemeinde Cüstrin-Kietz unterstellt werden sollten. Damit war jedoch die Königliche Regierung in Frankfurt (Oder) nicht einverstanden. Nach einem Beschluss des Gemeindekirchenrats vom 30.08.1915 bat man das evangelische Konsistorium darum, den Vorgang bis nach dem Krieg ruhen zu lassen. Damit hatte sie diese Idee wohl auch erledigt. In späteren Jahren konnte ich keine Unterlagen mehr dazu finden.

Am 14.02.1936 wurde auf Anregung von Pfarrer Nagel und auf Anfrage des Stadtbauamtes Küstrin darüber beraten, ob im Keller des Pfarrhauses Küstrin-Kietz ein Gasschutz-Sammelraum mit 45 qm Größe und einem Fassungsvermögen von 25 Personen eingerichtet werden könnte. Unter den Bedingungen, dass der Gemeinde keine Kosten entstehen dürften und die Stadt für eventuelle spätere Bauschäden haften sollte, wurde dem zugestimmt. Auch die Stadt stimmte zu. Die Zeit drängte sehr, da die öffentliche Förderung an eine Fertigstellung bis zum 31.März des gleichen Jahres gebunden war. Die Arbeiten waren jedoch erst am 11. Juni 1936 beendet. Ob es zu Schwierigkeiten mit den Fördergeldern kam, ist aus den Akten nicht ersichtlich.

Ruine des Pfarrhauses in Küstrin-KietzDer Pläne zum Bau einer Kirche waren 1937 schon weit Fortgeschritten, so dass Bauraut Dr. Steinberg sich am 25. August des Jahres  über die Planungen selbst ein Bild vor Ort machen wollte. Vorentwürfe einer Kirche waren bereits 1914 durch  den oben bereits genannten Konsistorialrat Büttner angefertigt worden. Der Gemeindekirchenrat war dem aber eher Skeptisch eingestellt. Er bat um Verschiebung des Termins, da die Finanzierungsfrage noch nicht geklärt war und auch der genaue Standort der neuen Kirche noch nicht genau fest stand.

Die städtischen Pläne für den Straßenbau besagten, dass die Friedensstraße über das Kirchengrundstück bis zur Oldenburger Straße und anschließend bis auf die Chaussee nach Manschnow verlängert werden und damit zur neuen Hauptverkehrsstraße von Küstrin-Kietz werden sollte. Im Osten sollte die Friedensstraße an der Stelle, wo heute der Reitweiner Damm von der Karl-Marx-Straße abzweigt, auf die Straße zu den Oderbrücken treffen. Der Generalbebauungsplan musste aber noch vom entsprechenden Ministerium abgesegnet werden. Bereits 1935 hatte man sich einen alternativen Standort für die Kirche gesucht: Sie sollte vielleicht auch südlich der Kreuzung Lindenstraße und Kaiserstraße (heute Marktstraße), etwa auf der Höhe der ehemaligen Mülldeponie in Küstrin-Kietz gebaut werden.

 Die Hoffnung lag immer noch auf der Vereinigung mit der "kapitalkräftigen" Schlosskirchengemeinde, um damit den Kirchenneubau finanzieren zu können. Zum Kirchenbau kam es jedoch nicht mehr. Durch Kriegseinwirkung wurde das Pfarrhaus stark beschädigt, die Kapelle auf dem kommunalen Friedhof hatte ihr Dach eingebüßt. Mit Kriegsende endete auch erst einmal das normale kirchliche Leben.

Im Jahr 1949 trug der Superintendent des Kirchenkreises Seelow die Frage an Pfarrer Hans Neumann heran, ob er sich nicht vorstellen könne, in den Osten zu gehen und dort eine Gemeinde zu übernehmen. Im Januar 1950 nahm Pfarrer Neumann die Einladung an, um sich vor Ort erstmal einmal ein Bild der Lage zu machen. Den Zustand des Ortes beschrieb er wie folgt:

Die "Lange Vorstadt" Kietz, wie der Ort genannt wurde, sah nicht viel anders aus als 1945. Zu beiden Seiten der Straße hohe Schuttberge und Ruinen, so weit das Auge reichte. In den Ruinen aber wohnten Menschen. [...] Wir bogen in eine Seitenstraße ein. Straße war wohl geschmeichelt, obwohl es sicher mal eine Straße gewesen war. Ein verschlammter Weg, der glücklicherweise hart gefroren war. Nach etwa 100 Metern hielten wir an einer größeren Ruine, völlig in sich zusammengestürzt. Schutt lag bis zu den Fensterhöhlen in unvorstellbarer Menge.

Pfarrer Neumann beschreibt im obigen Zitat seine Fahrt durch die Chaussee- und Ziegeleistraße bis zum Pfarrhaus. Zu dieser Zeit stand der auf dem Foto abgebildete Missionswagen der Gossner Mission bereit auf dem Gelände. Die zwei Katecheten führten dort z.B. die Christenlehre für die Kinder des Ortes durch. Das Pfarrhaus sollte als Gemeindehaus wieder aufgebaut werden.  Pfarrer Neumann entschied sich erst einige Monate später dazu, die Gemeinde in Kietz zu übernehmen. Als es mit seiner Frau im September 1950 in der Superintendantur in Seelow eintraf, machte er seine ersten Erfahrungen mit "Männern in Lederjacke" - Mitarbeitern der Staatssicherheit. Nach einiger Zeit in Seelow ging er schließlich nach Küstrin-Kietz, das Gemeindehaus war nun ein Rohbau. Ende November wurde mit Eifer daran gearbeitet, das Haus winterfest zu machen. Als Bänke im Saal nutzte man aufgestapelte Steine mit Brettern darüber. Der Pfarrer hatte nun neben Küstrin-Kietz, Kuhbrücke, Neu-Bleyen und Alt-Bleyen auch Neuschaumburg mit zu versorgen. Die Gottesdienste waren voll. In Küstrin-Kietz und Bleyen wurden junge Gemeinden gegründet und es entstanden Frauen- und Männerkreise. Am 07.01.1951 wurde das neue Gemeindehaus eingeweiht. Um die Menschenmassen bei den Gottesdiensten unterbringen zu können, wurde zwischen dem Saal und einem kleinen weiteren Raum ein  Durchbruch geschaffen, um einen Kleinen Saal anzulegen. Die Beräumung des Schutts rings um das Gemeindehaus zog sich bis in den Herbst 1951 hin. Fließendes Wasser und eine Toilette gab es im Haus zu dieser Zeit noch nicht. Am 27.12.1951 kam die erste Bronzeglocke auf dem Güterbahnhof in Küstrin-Kietz an. Sie wurde mit einem feierlich geschmückten Wagen abgeholt, der wohl durch viele Menschen begleitet wurde. Brunnenbaumeister Walter baute zusammen mit seinem Sohn Horst und einigen Kirchenältesten (Becker, Neumann, Reichert,...) einen provisorischen Glockenstuhl. Zu Silvester 1951 wurde die Glocke erstmalig geläutet.

Um einen richtigen Glockenturm bauen zu können, bat man die Gemeindemitglieder, zu jedem Gottesdienst ein oder zwei Ziegelsteine mitzubringen - Ruinen gab es ja noch genug. Ein Herr Freigang, Maurer, aber bereits Rentner baute den Glockenturm mit Halterungen für zwei Glocken mit Hilfe vieler Gemeindemitglieder. Das fiel natürlich auch den "staatlichen Organen" auf, so dass eines Tages ein Brief vom Bürgermeister kam, in dem er fragte, woher den die Steine stammten. Man antwortete, die Gemeindemitglieder hätten sie mitgebracht  - damit hatte sich die Anfrage erledigt. Am 08.05.1953 bekam die Gemeinde die zweite Glocke, welche am 25. des gleichen Monats geweiht wurde.

Vor dem Krieg nahmen auch viele Küstrin-Kietzer am Missionsfest in Tamsel Teil. Man entschloss sich, die Tradition aufzunehmen und ein eigenes Fest durchzuführen: Das Kreis-Jugend-Missionsfest des Kirchenkreises Seelow. Auch die Stasi hörte von der Veranstaltung und war regelmäßig dabei anwesend. Zwischen 1952 und 1954 nahmen bis zu 800 Menschen am Fest teil.

Neu-Bleyen.

Zu Neu-Bleyen gibt es leider nicht viel zu sagen. Der Ort wurde nach der Zerstörung der Langen Vorstadt und des Dorfes Kietz um 1820 durch ehemalige Einwohner dieser Orte "auf Drewitzer Grund" gegründet. Alt-Bleyen war zu dieser Zeit nur ein königliches Gut und kein eigenständiger Ort. Den Namen Neu-Bleyen gaben die Einwohner dem Ort selbst. Ab Januar 1820 stritten sich der Pfarrer der Parochie Schaumburg, Wasserführer, und die königliche Regierung darüber, zu welchem Pfarrbezirk der neue Ort gehören sollte. Da der Ort auf Drewitzer Grund erbaut wurde, argumentierte der Pfarrer, sollter der Ort so wie auch Drewitz zur Parochie Schaumburg gehören. Am 06.04.1820 entschied die königliche Regierung in Frankfurt (Oder), dass Neu-Bleyen zum Pfarrbezirk Küstrin gehören sollte. Eine eigene Kirche hatte der Ort bis 1945 nicht, wo die Gottesdienste zwischen 1820 und 1945 statt fanden, konnte ich leider nicht in Erfahrung bringen.

Der Missionswagen der Gossner Mission aus Küstrin-Kietz wurde nach dem Wiederaufbau des Gemeindehauses dort nach Bleyen gebracht und auf dem Grundstück einer Frau Giebler abgestellt. Der Gottesdienst wurde in der Bleyener Schule durchgeführt.

In den späten 1950er Jahren wurde darüber nachgedacht, eine kleine Kapelle in in Neu-Bleyen zu bauen. Laut einem Schreiben an das Pfarramt in Kietz von 1958 sollte der Bau 19.500 DM kosten. Zu dieser Zeit stand aber auch schon die Idee im Raum, einfach nur eine Baracke zu bauen. Diese Variante wurde auch umgesetzt, obwohl schon ein Entwurf für die Kapelle existierte. Bei der Entscheidung zugunsten der Baracke und gegen eine Kapelle spielten mit Sicherheit auch der Mangel an Baumaterial und Fachkräften zu dieser Zeit in der DDR ein Rolle.  Nachdem die Bleyener sahen, dass es in Kietz zwei Glocken gab, wollten sie auch wenigstens eine haben. Man baute einen kleinen Glockenstuhl und hing daran eine ungenutzte Glocke auf, die bis dahin auf dem Gelände des ehemaligen Guts gelegen hatte.

 

Quellen:

  • Johann Christoph Bekmann: Von Stat und Veste Küstrin, ca. 1710
  • Historisches Portefeuille - Zur Kenntniß der gegenwärtigen und vergangenen Zeit, 5. Jahrgang, 2.Band, 1786, Seite 87 - 90: VIII Nachricht von den Inschriften auf die bisher unbekannt gewesenen fünf Särge , welche sich in der Gräflich-Dohnaschen Gruft in der Stadt-Pfarrkirche zu Cüstrin befinden. Aufgesetzt vor dem letzteren Bombardement  den 2ten Junii 1756. Mitgetheilt von dem Geheimen Legationsrath und Residenten zu Berlin Herrn Doct. Oelrichs (Google Books)
  • Chronik der Stadt Cüstrin, K. W. Kutschbach, 1849
  • Erinnerungen an den Markgraf Johann von Küstrin, Ein Vortrag von Dr. C. Büchsel, Berlin 1856
  • Die St. Marienkirche zu Cüstrin ein Gedenkblatt zur ersten Säkularfeier des jetzigen Kirchengebäudes am 19. Mai 1887
  • Die Auffindung der Fürstengruft in der Marienkirche zu Küstrin im Jahre 1880, Küstrin 1897, Nigmanns Buch- und Steindruckerei
  • Der Wiederaufbau der Küstrins nach dem russischen Bombardement, Prof. Dr. Gustav Berg, Marienburg, Schriften des Vereins für die Geschichte der Neumark, Nr. 7, 1903, Seiten 1 - 180
  • Die Hohenzollerngruft in der Pfarrkirche zur Cüstrin, Gustav Berg, Hohenzollernjahrbuch Nr. 10.1906, Seiten 130-137
  • Friedrich der Große und der Bau der Stadtkirche zu Cüstrin, Prof. Dr. Paul Schwarz, Schriften des Vereins für die Geschichte der Neumark, Nr. 21, 1908, Seiten 267 - 270
  • Die evangelischen Kirchen der Stadt Küstrin, Prof. Dr. Gustav Berg, Marienburg, Schriften des Vereins für die Geschichte der Neumark, Nr. 24, 1910, Seiten 1 - 33
  • Cüstrin vor 100 Jahren 1806 - 1812 von Prof. Dr. C. Fredrich
  • Die Stadt Cüstrin von C. Fredrich, 1913
  • Die Kunstdenkmäler der Provinz Brandenburg, Sonderdruck "Die Stadt Küstrin", 1927
  • Diverse Wohnungsanzeiger und Adressbücher der Stadt, Zeitraum 1883 bis 1939
  • Pfarrenbuch der Mark Brandenburg, Band 1, Verzeichnis der Pfarrstellen; Verlag E. S. Mittler & Sohn, Berlin 1941
  • Küstrin - Die Stadt an Oder und Warthe 1232 - 1982.
  • "Gott zu Ehren und zum Seeligen gebrauch der gleübigen" - Eine Küstriner Goldschmiedearbeit des 17. Jahrhunderts, Ernst-Ludwig Richter, Kunst & Antiquitäten Nr. 1/1988
  • Ausstellungskatalog "Kriegsgericht in Köpenick! Anno 1730: Kronprinz - Katte - Königswort", Abschnitt 11.5.1 - 11.5.3, Seiten 197 bis 202, Berlin 2011
  • Unterlagen aus dem Evangelischen Landesarchiv Berlin (ELAB)
  • Marcus Conrad: Geschichte(n) und Geschäfte Die Publikation der "Allgemeinen Welthistorie" im Verlag Gebauer in Halle (1744 - 1814)
  • Drei Jahre in Küstrin-Kietz, Pfarrer Hans Neumann (1921 - 2002), 1999
  • Die evangelischen Kirchen der Stadt Küstrin, Prof. Dr. Gustav Berg, Marienburg, Schriften des Vereins für die Geschichte der Neumark