[...] Die erste Festungsanlage in Brandenburg wurde 1535 begonnen. Zu dieser Zeit umfaßte Küstrin (1232 erstmals erwähnt) eine städtische Siedlung, deren Kern ein “Festes Haus” zum Schutz der Oderbrücke bildete, sowie den südlich der Stadt gelegenen Kietz. Aufwendige Schutzmaßnahmen für die Siedelung, das Feste Haus oder die Brücke wurden nicht für erforderlich gehalten, da die Wasserläufe und Sumpfgebiete der Umgebung als natürlicher Schutz ausreichten. Am Beginn des 16. Jahrhunderts umgaben das Feste Haus Graben und Wall mit Plankenzaun, und der obere Teil des Gebäudes bestand lediglich aus Fachwerk.
1535 befahl Kurfürst Johann von Küstrin, die Stadt nach Plänen des Ingenieurs Maurer zu einer Festung auszubauen. Im Zuge dieser Maßnahmen mußte 1537 der Kietz auf das andere Oderufer verlegt werden, wo er wie die benachbarte Lange Vorstadt sowie die Kurze Vorstadt nordöstlich von Küstrin unbefestigt blieb. In einer ersten Baustufe wurden bis 1543 Erdwälle um die Stadt angelegt, deren Fläche sich auf das Dreifache vergrößerte. Diese Wälle erwiesen sich aber sehr rasch als zu anfällig gegen die Unterspülung bei Hochwasser und das Abreißen bei Eisgang. Möglicherweise hatte sich zu dieser Zeit auch schon bemerkbar gemacht, daß der Untergrund am Rande und außerhalb der Talsandinseln ohne zusätzliche Armierungen nicht tragfähig genug war, um dem hohen Gewicht der Festungswerke standzuhalten.
Die 1553 begonnene zweite Baustufe umfaßte daher - wie in Spandau und Peitz - die Stabilisierung des gefährdeten Untergrundes durch zusätzliche Aufschüttungen und umfangreiche Pfahlgründungen, bevor mit der Aufmauerung der Wälle in Backstein begonnen werden konnte. Im Ergebnis entstand in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts eine Festung mit fünf Bastionen, die jeweils zwei Pulvertürme in den zurückgezogenen Flanken aufwiesen, wie es ein Küstrin-Plan vom Ende des 16. Jahrhunderts im Krigsarkivet Stockholm zeigt [...]. Die Bastionen “König” und “Kronprinz” erhielten je eine “Katze” zum Schutz der beiden Tore im Nordwesten und Nordosten, während die Bastionen “Königin” und “Philipp” Windmühlen trugen. Anstelle einer sechsten Bastion an der Oderfront erhielt diese einen zweifach abgewinkelten Verlauf, und der Brückenkopf am westlichen Oderufer war noch ungesichert.
Die Originale der Pläne für beide Baustufen sind nicht überliefert, doch gibt es klare Hinweise darauf, daß der italienische Festungsbau-Ingenieur Francesco Chiamarella de Gandino zusammen mit dem Baumeister Christoph Römer in Küstrin tätig war, ehe Römer seit 1557 und Gandino seit 1559/60 beim Bau der Zitadelle Spandau nachweisbar sind. Eine weitere sehr frühe kartographische Überlieferung von Planung für den Festungsbau in Küstrin ist ein “um 1580” datierter Grundriß mit italienischer Maßbeschriftung (Abb. 3.1.1-4), der in wesentlichen Zügen dem Bauergebnis in dieser Zeit entspricht und z.B. den Kavalier der Bastion “Kronprinz” zeigt, aber nicht denjenigen der Bastion “König”. Die in diesem Grundriß als Planung wiedergegebene sechste Bastion in der Mitte der Oderfront wurde erst rund 100 Jahre später (1672-1676) als Bastion “Brandenburg” realisiert. Von der graphischen Darstellung her ähnelt der Küstriner Grundriß sehr stark den beiden Festungsplänen von Peitz und Spandau, die um 1578/80 datiert werden können; Gandino ist als Autor des Küstriner Grundrisses nicht auzuschließen.
Abb. 3.1.1-4 (Küstrin um 1580). Handzeichnung. SBB Kart SX 22180.
Der Küstrin-Plan des Obristwachtmeisters Jacob Holst aus der Zeit um 1650 (Abb. 3.1.1-5) ist ein Zeugnis der 2. Ausbaustufe der Küstriner Festungswerke, die sich aus den Erfahrungen während des 30jährigen Krieges ergeben hatte. So konnten die Schweden durch Anlage eines provisorischen Ravelins die Oderbrücke unter ihre Kontrolle bringen. Aber auch die Festungswerke insgesamt, vor allem die Festungszugänge erwiesen sich als nicht ausreichend gesichert. 1634 erfolgte der Beschluß zum Bau der Schanze am linken Oderufer, um die Brücke zu sichern. Darüber hinaus beinhaltete die 2. Ausbaustufe von Küstrin folgende Maßnahmen zur Verbesserung der Verteidigungsfähigkeit:
- Bau der sechsten Bastion
- auf der Landseite Anlage einer Contrescarpe mit Redans und Ravelins
- Bau eines großen Hornwerks vor dem nordwestlichen Tor.
Am Ende des Krieges waren von diesen Plänen lediglich die Schanze und zwei Ravelins Wirklichkeit geworden; alle übrigen Projekte konnten erst um 1690 fertiggestellt werden. Von Holst vorgeschlagene weitergehende Planungen - vor allem auf dem westlichen Oderufer - kamen nicht zur Ausführung.
Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, daß zur gleichen Zeit die Berlin-Pläne von La Vigne (1685) und von Kauxdorf (1687) die Dorotheenstadt im Süden und Westen ebenfalls mit Elementen eines Hornwerks befestigt zeigen; das fertige Hornwerk mit einer durchgehenden Bewallung auch an der Spree enthält erst der Perspektivplan von Schultz (1688) - allerdings hat es diese Spree-Befestigung nie gegeben.
Abb. 3.1.1-5 Jacob Holst: Cüstrin wie es gewesen Anno 1650.
Kolor. Handzeichnung. Norden links oben. SBB Kart SX 22185/10.
Die Vorgänge um die Festung Küstrin im 18. Jahrhundert (vgl. den Plan von Johann Friedrich Vater von 1724; Abb. 3.1.1-6) werden im wesentlichen von zwei Ereignissen bestimmt. Während des 7jährigen Krieges belagerte und beschoß eine russische Armee im August 1758 die Festungsstadt und ihre Vorstädte, die dabei samt der Oderbrücke fast völlig abbrannten. Da in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts bis auf ein erhebliches Wachstum der Vorstädte in der Festung selbst nur unwesentliche Veränderungen zu verzeichnen sind und die Zeit nach 1758 durch reine Wiederaufbau- und Reparatur-Arbeiten ausgefüllt war, kann das 18. Jahrhundert - im Vergleich mit dem 16. und 17. Jahrhundert - als eine Periode der Stagnation bezeichnet werden.
Trotz der durch die politische Lage in Europa seit 1796 vorgenommenen Arbeiten zur Verbesserung der Verteidigungsmöglichkeiten Küstrins kapitulierte die Festung im November 1806 vor relativ schwachen französischen Verbänden. Die Besetzung dauerte bis zum März 1814. Die danach einsetzenden Baumaßnahmen in und um Küstrin verliefen in zwei Phasen:
- Das Gebiet der Langen Vorstadt wurde Festungs-Terrain, und Kietz sowie Lange Vorstadt mußten 1817 um etwa 2 km nach Südwesten an die Berliner Chaussee verlegt werden. Am Oderufer entstand anstelle der Schanze ein langgezogener “Brückenkopf” (1823-1827).
- Zwischen 1860 und etwa 1878 erfolgte eine Verstärkung der alten Festungswerke selbst und ihrer Kasematten zur Aufnahme moderner schwerer Geschütze sowie - im Stile der Zeit - die Anlage zahlreicher selbständiger kleiner Festungswerke. Gleichzeitig wurden aber auch Teile der inneren Verteidigungsanlagen zugunsten ziviler Nutzungen (z.B. Anlage des Bahnhofs Küstrin-Altstadt 1868) aufgegeben.
Der Beschluß von 1911, die alte Festung abzubrechen, konnte erst nach Kriegsende verwirklicht werden. Während 1931 der Kavalier der Bastion “König” - an der Stelle des “Festen Hauses” von 1535 - gesprengt und abgetragen wurde, blieb ein Teil der Wälle und Bastionen bis 1945 erhalten. Am Ende des 2. Weltkrieges wurde Küstrin nochmals zur “Festung” erklärt - in diesen Kämpfen ist die mittelalterliche und die neuzeitliche Bausubstanz von Küstrin innerhalb weniger Wochen vernichtet worden. [...]
Abb. 3.1.1-6 Johann Friedrich Vater: Plan von Cüstrin 1724.
Kolor. Handzeichnung. Ausschnitt. SBB Kart SX 22187/15.
Quelle: Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz
URL des Originalartikels: www.geog.fu-berlin.de/2bik (Startseite) bzw. http://www.geog.fu-berlin.de/2bik/Kap3/index.shtml (Kapitel "Festungspläne")