Meine lieben Kinder!

25 Briefe zwischen dem Küstriner Kaufmann Christoph Langlotz und seinen Kindern zwischen 1921 und 1931

Vorwort

Meine lieben Kinder - so oder so ähnlich beginnt der Küstriner Kaufmann Christoph Langlotz viele seiner Briefe aus Küstrin, in denen er neben privaten Dingen auch über viele Vorgänge des damals aktuellen Zeitgeschehens in der Stadt und auch über das eigene Geschäft am Marktplatz in der Altstadt berichtet. Da die Familienmitglieder, an die diese Briefe aus dem Zeitraum von 1921 bis 1931 gerichtet waren, schon vor 1945 nicht mehr in Küstrin lebten, überstanden die Briefe das Inferno des Kriegsendes in der Stadt. Dieser kleine Schatz wird heute durch eine Urenkelin von Christoph Langlotz sicher verwahrt.

Diese Berichte in den Briefen sind etwas Besonderes, denn sie sind nicht von offiziellen Stellen, Journalisten oder Historikern verfasst, sondern aus der persönlichen Perspektive eines Küstriner Bürgers. Neben den Briefen von Christoph Langlotz, sind auch vier Briefe seines Sohnes Ernst - der zu dieser Zeit auch noch in Küstrin lebte - hier mit eingeflossen. Die privaten Zeilen außer Acht lassend, werden hier nur die beschriebenen Geschehnisse in der Stadt aus 25 dieser Briefe wiedergegeben. Viele dieser Geschehnisse sind noch heute mit historischen Fotos belegbar, die hier ergänzt wurden. Dies zeigt auch, dass diese damaligen Ereignisse nicht nur die Familie Langlotz bewegt haben.

Mein besonderer Dank gilt der Urenkelin dieses Küstriner Kaufmanns, Frau Dr. Löschke, die diesen Schatz bewahrt und mir die Möglichkeit gegeben hat, eine Auswahl dieser Briefe lesen zu dürfen. Bevor die Abschriften beginnen, möchte ich aber zuerst noch kurz auf die Geschichte der Firma Langlotz eingehen.

Bild 1: Geschäft von Christoph Langlotz, Berliner Straße 25 (Am Marktplatz), Küstrin-Altstadt

Eisen- und Kurzwarenhandlung „Chr. Langlotz“

Die Eisen- und Kurzwarenhandlung „Chr. Langlotz“ in der Berliner Straße 25 (auch: Markt 25) wurde bereits im Jahre 1834 gegründet, lässt sich aber aktuell zur bis zur im Jahre 1862 gegründeten Handelsgesellschaft „Feige & Behrend“ zurückverfolgen, der Gründer und der ursprüngliche Name der Firma sind noch unbekannt. Christoph Friedrich Langlotz übernahm das Geschäft Mitte 1885. Der zwischenzeitlich auch als Stadtrat aktive Kaufmann starb im Sommer 1932. Im Jahre 1938 wurde das Geschäft von seinem Sohn Ernst – der zu dieser Zeit schon gar nicht mehr in Küstrin lebte - übernommen und 1942 nach über 100jähriger Firmengeschichte letztendlich geschlossen.

Bild 2: Werbeanzeige der Firma Langlotz

Die Abschriften

Noch einige kleine Anmerkungen zu den Abschriften: Die Inhalte der einzelnen Briefe wurden teils thematisch zusammengefasst. Der Schreiber erwähnte z. B. an verschiedenen Stellen innerhalb eines Briefes den Bau der Eisenbahnbrücken, diese Stellen werden hier en bloc wiedergegeben. Rechtschreibung und Gramatik wurden in der damals üblichen Form belassen. Nicht oder nicht komplett leserliche Stellen sind mit (?) gekennzeichnet. Kommentierungen erfolgen in eckigen Klammern und kursiver Schrift.

Cüstrin-Altstadt, den 20.11.1921

[…] Lieber Edmund, du hast meiner Meinung nach recht gehandelt, daß du noch so viel als möglich an Haushaltungsgegenständen eingekauft hast, die Preise gehen unheimlich in die Höhe und ob in zu ferner Zeit wieder ein Rückgang eintritt, ist sehr fraglich. Die Lieferanten halten sich sehr zurück, wir bekommen fast gar keine Waren herein und wenn, nur zu unheimlichen Preisen.

Hier werden auf dem Entfestigungsgelände wieder zwei Siedlungshäuser in Angriff genommen, das erste was gebaut wurde, ist bereits bezogen. Der Umbau der Sparkasse ist vollendet, morgen siedelt dieselbe wieder nach dem Rathause über. Das Amtsgericht soll zum April nach der Schloßkaserne verlegt werden, ob es bis dahin möglich sein wird, ist aber fraglich? […]

Bild 3: Schleifung der Festungsanlagen („Entfestigung“)

Cüstrin-Altstadt, den 13.4.1922

[…] Das Wirtschaftskonto steigt täglich und nimmt schon fast eine schwindelte Höhe an. Butter kostet schon bis 170 M Schinken 160 M das St. Wir hatten grüne Bohnen mit Hammelfleisch das St. kam 60 M und wenn man zum Fleischer geht, kommt man unter 250 bis 300 M nicht mehr weg. […] Vom 30. August kostet hier das 1950 gr Brot 30 M. Wo soll das noch hinführen, Mutter muss fast jeden Tag resp zum Abend über 20 Stullen machen, was kostet da schon das Brot und dann der teure Belag ¼ Schinken 40 M ist so gut wie gar nichts.

Mit den Verkaufspreisen in unseren Artikeln kann man auch nicht mehr Schritt halten, es kommen oft in einer Woche Erhöhungen von 40 bis 100%. Draht und Stifte sind am 4. August um M 1900 und am 8. August M 650 für 100 kg im Preise gestiegen, es kostet jetzt 1 Pack Drahtstifte 3 ½ Zoll 5 kg schwer schon 275 M. Im Frieden 1,20 M. Ende Juli kaufte ich Kupferkessel mit 209 M, jetzt wo die Sendung abgehen soll, kosten sie 320 M pro 1 kg. Eine Wandkaffeemühle, wie ihr sie bekommen habt, kostet uns schon 360 M da könnt ihr sehen wie alles im Preise steigt. [...]

Morgen wird der Buchdruckereibesitzer Hans Adler (Oderblatt) beerdigt. Er ist 52 Jahre alt geworden.

Gestern war vor der Warthebrücke ein großer Kahn mit Bretterladung angelaufen und gesunken, die Bretter mußten alle umgeladen und teilweise aufgefischt werden, da der Kahn betriebsunfähig geworden war. […]

Die Siedlungshäuser werden jetzt fertig gestellt und vorläufig keine mehr gebaut, da keine Gelder mehr vorhanden sind.

Im Rathaus werden jetzt verschiedene Umbauten ausgeführt, das Amtsgericht ist nach der Schloßkaserne verlegt und die Räume sollen von der Stadtverwaltung mit benutzt werden, damit die anderweit gemieteten Räume abgegeben werden können.

Bild 4: Das Rathaus in der Altstadt

Bild 5: Schlosshof. Das Schild in der Bildmitte zeigt auf den Eingang des Amtsgerichts.

Cüstrin-Altstadt, den 26.11.1924

[…] Das Geschäft geht so seinen alten Schlendrian, die Leute haben nicht genügend Geld und müssen sich deshalb beim Einkauf einschränken. Angebote von Lieferanten sind massenhaft, aber wenn nicht genügend Umsatz ist, kann auch der Kleinhandel nicht blindlings darauf loskaufen. […]

Mit unserer Elektrischen ist noch kein rechter Fortgang, die A.E.G. die die Sache übernommen hat, wollte schon bis Mitte Dezember fertig sein, was aber wohl nicht gut möglich ist. In der Drewitzer Straße gegenüber von Ernsts Wohnung [Laut Adressbuch von 1928: Drewitzer Straße 75] wurden 2 Häuser für rund sechs Familien gebaut, so daß die Aussicht etwas verschlechtert ist und der Blick in die Ferne nicht mehr so schön ist.

Das alte Schützenhaus kauft die Stadt und die Schützengilde baut ein neues im größeren Stil hinter den früheren Militärschießständen auf.

Die Zusammenlegung der Pfarrkirche mit der Schloßkirche ist nun von den beiden kirchlichen Körperschaften beschlossen worden, der Termin bis wann die Angelegenheit Gestalt wird, ist noch nicht bestimmt vorauszusagen, da erst noch verschiedene Behörden mitzusprechen haben. Bis jetzt findet der Gottesdienst abwechselnd in der Pfarr- und Schloßkirche statt. Schloßpfarrer Müller bleibt auch nach der Verschmelzung der Pfarrer an der Kirche, die Oberpfarrerstelle geht ein.

Handschuhmacher Schindler [Johann Schindler, Bandagist, Handschuhmacher, Berliner Straße 17, Altstadt] ist vorige Woche auch gestorben, auch Pfarrer Nigmann in Göritz a/ Oder.

Übermorgen ist die große Hochzeit beim Drahtseilfabrikant Werder [Karl Werder, Drahtseilfabrik, Kietzer Straße 188, Altstadt], dessen Tochter sich mit dem Kaufmann Wons [Erwin Wons, Lebensmittel, Drewitzer Straße 40, Neustadt (1930); am 10.11.1925 wurde dem Paar eine Tochter geboren] verheiratet, es sollen 80 Personen sein und die Feier soll im Bootshaus stattfinden. Heute hatte die jüngste Tochter von Kohlstock in Hochzeit in Conrads Hotel, die älteste Tochter ist auch verlobt […].

Bild 6: Das alte Schützenhaus in der Neustadt

Bild 7: Anzeige der Drahtseilfabrik Werder, 1939/40

Bild 8: Das Bootshaus des „CRC von 1899“ in der Neustadt. Grundsteinlegung am 2.7.1921

Bild 9: Conrads Hotel, Bahnhofstraße Ecke Plantagenstraße, Küstrin-Neustadt

Cüstrin-Altstadt, den 1.5.1925

[…] Mit der Straßenbahn geht es nur langsam vorwärts, die Verlegung der Straßen, der Gas- und Wasserleitung und die Erhöhung [der Straßenbrücke] macht viel Arbeit.


Das neue Schützenhaus wird bald im Rohbau fertig sein, damit es noch zum Bundesschießen benutzt werden kann.

Die Gewerkschaften hielten heute durch Umzug mit 2 Musikkapellen durch die Straßen, im Pappelhorst ihre Maifeier ab, sonst ist alles ruhig verlaufen. Stadtrat Paech hatte die Leitung des Zuges übernommen.


Zur Hindenburg-Wahl hatten viele Häuser schwarz weiß rot geflaggt, erst sollte ein Fackelzug stattfinden, derselbe ist aber bis jetzt nicht ausgeführt worden und will ich annehmen, daß derselbe ganz ausfällt. [...]


An den neuen Straßen sind überall kleine Bäumchen angepflanzt, um den Verlust der alten Bäume weiter zu ersetzen. Bei Laatsch und H. E. Schulz sind Oeltanks für die Autos auf der Straße aufgestellt, ich kann es für den Markt nicht schön finden. Trude Arnholz, jetzt Keßler, ist nun in die Wohnung ihres verstorbenen Vaters nach dem Renneplatz gezogen.


Geschäftlich ist es nach wie vor schön ruhig, da der Geldmangel sich immer mehr fühlbar macht. Hier sind auch wieder ein Material und 1 Cigarrengeschäft eingegangen, ich nehme an, werden mit der Zeit noch mehr folgen. [...]

Bild 10: Bau des neuen Schützenhauses

Bild 11: Fahrradhandlung Alfred Laatsch an der westlichen Marktplatz-Seite; Haus rechts

Bild 12: Drogerie H. E. Schulz, nördliche Markplatz-Seite

Cüstrin, den 29.5.1925

Der 2te Bürgermeister geht nach Trebnitz in Schlesien und bekommt, wie ich höre, die Differenz vom Gehalt von dort und hier wohl von Cüstrin zugezahlt, es soll wohl wieder ein Jurist angestellt werden auf Stufe X. Die Straßenverschiebung schreitet am Zorndorfer Tor richtig vorwärts, jetzt werden von der Post die neuen Kabel gelegt was auch noch viel Wirtschaft macht. Wann der Durchbruch durch den Hohen Kavalier erfolgen wird, ist noch nicht ganz genau heraus.


Seit 16. Mai ist nun die Elektrische Straßenbahn in Betrieb, dieselbe fährt vom Bahnhof Neustadt bis Bahnhof Altstadt und von der Polizistenecke [Stern] nach dem Wald. Die Wagen sind fast durchweg gut besetzt, die Fahrt kostet 15 Pf, es sind aber auch Kinder und Monatskarten ausgegeben, wodurch sich die Fahrt viel billiger stellt. Ernst hat auch eine Monatskarte und braucht nicht mehr mit dem Rade zu fahren. Im Ganzen sind 4 Wagen und 2 Anhänger, jedoch kommen noch manchmal Defekte vor, so daß ein Wagen außer Betrieb gestellt werden muss.


Das neue Schützenhaus soll bald in Betrieb genommen werden, ein Berliner hat die Restauration übernommen. Der Reichsgarten, welcher so lange stillgelegt war, kommt auch wieder von Neuem in Betrieb.

Bild 13: Fahrschein der Küstriner Straßenbahn mit Liniennetz

Bild 14: Küstriner Straßenbahn an der Ausweichstelle „Hoher Kavalier“

Cüstrin-Altstadt, den 20.8.1925

[…] Ohne den Vereinsrummel wurde hier das Kreisbundesschießen der Schützen, das Provinz Bundesschießen im neuen Schützenhause abgehalten, wobei große Umzüge durch die Stadt stattfanden.


Vorigen Sonntag war der große Generalappell der 48er wo et. 7000 Teilnehmer hier eingetroffen waren und welcher 3 Tage dauerte. Alle Locale waren überfüllt und die Elektrische konnte die Personen trotz Anhängerwagen nicht alle befördern. Außerdem haben wir elektrisches Licht legen lassen, was ziemlich viel Schmutz im Hause verursachte.


Das Geschäft ist wie überall still, die Konkurrenz bietet Waren mit 25% Rabatt, jedenfalls braucht dieselbe nötig Geld, woran im Allgemeinen großer Mangel ist.


Die Straßenbahn rentiert sich bis jetzt gut, wenn es so weiter bleibt, braucht die Stadt keinen Zuschuß zu leisten.


Im Großen Glacis, wo die neue Straße durch den Hohen Kavalier gelegt werden soll, werden jetzt von der Wasserbauverwaltung Sandaufspülungen gemacht, die Leistung beträgt pro Tag 600 qumtr. Von der Eisenbahn wird jetzt das dritte Gleis weiter gelegt, die Pumpstation am Hornwerk wird abgerissen und weiter nach dem Gohrin verlegt. Die Brücken sollen erhöht und neue Bogen erhalten, welche viel weiter auseinander liegen wie die alten.


Die alten kleinen Brücken, welche sich hinter dem Fortifikationsgebäude befinden, werden durch Dammschüttungen ersetzt, was alles noch viel Arbeit verursachen wird und im Winter gut für die Arbeitslosen ist. Augenblicklich war hier Hochwasser, was das Fortschreiten der Arbeiten etwas hindert. Die Post nimmt viel Oberleitungen fort und ersetzt dieselben durch legen von Kabeln und so treten hier eine Menge Veränderungen ein.

Bild 15: Historischer Umzug zum Provinzial-Bundesschießen, hier in der Kurzen Dammstraße, Altstadt

Bild 16: Fertiggestelltes, neues Schützenhaus

Bild 17: Hoher Kavalier (rechts), Kurze Dammstraße und links das Proviant-Magazin

Cüstrin-Altstadt, 15.11.1925 (geschrieben von Ernst Langlotz)

Hier in Cüstrin wird fleißig gebaut und die Wallstraße schließt sich mehr und mehr. Die Aufspülungen sind am Ende, weil die Geldmittel aufgebraucht sind, in diesem soll noch der geplante Durchbruch durch den Hohen Cavalier in Angriff genommen werden und hinter der Kietzer Straße soll an der Oder auf dem Wall eine Straße bis zur Oderbrücke geführt werden; hauptsächlich für die Heuwagen, die nicht mehr die Altstadt passieren sollen.

Die neuen Oderbrücken sind im vollen Bau und anbei schicke ich für Edmund eine kleine Abhandlung aus unserer Zeitung. Cüstrin wird ein ganz anderes Aussehen erhalten, nachdem es aus dem Dornröschenschlaf erwacht ist. Heute wird der neue Saal in Krappes Hotel eingeweiht, wieder eine Errungenschaft für die Altstadt. Wir haben durch die Aufspülung der Stadtgräben wieder mehr Ratten bekommen […].

Bild 18: Blick in die Wallstraße, Küstrin-Altstadt

Cüstrin, 11.4.1926 (geschrieben von Ernst Langlotz)

[…] Hier wird tüchtig gearbeitet, besonders an den Eisenbahnbrücken, die nach ihrer Fertigstellung Cüstrin ein ganz anderes, moderneres Bild geben werden. Die neuen Brückenpfeiler sind ziemlich vollendet, auf der Oderbrücke beginnen sie schon mit der neuen Eisenkonstruktion und der Bahnhof Altstadt ist bereits gänzlich abgerissen, um einem modernen Bau an der derselben Stelle Platz zu machen. […]

Das hohe Wasser ist nun endlich abgefallen und die Wiesen, die seit dem Herbst ständig unter Wasser standen, werden langsam frei. Täglich mußten der Schifffahrt wegen die Brücken aufgedreht werden, was bei den neun wohl nicht mehr erforderlich sein wird. […]

Auch an den Gleisen unserer Elektrischen wird tüchtig geschafft. Die Schienen an den Kurven werden durch stärkere ersetzt und alle Schienenköpfe werden autogen mittels Termiteisen bei einer Temperatur von 3000° aneinandergeschweißt. Dadurch werden die Stöße vermieden, um die Wagen mehr zu schonen. Die Schweißungen machen viel Arbeit, weil an den betr. Stellen das Pflaster herausgenommen werden muß. Der Verkehr wird durch Umsteigen aufrecht erhalten, was aber immerhin sehr hinderlich ist. […]

Das aufgespülte Gelände an der Brückenstraße ist vermessen und geebnet worden, wobei die Arbeitslosen Beschäftigung fanden; außerdem ist mit dem Bau der neuen Brückenstraße, die über das aufgespülte Gelände durch den Hohen Kavalier führen wird, begonnen worden. Die Bordschwellen sind schon gesetzt und der Untergrund durch Mutterboden und alte Mauersteine befestigt worden. Am kleinen Glacis an der Brückenstraße sind viele alte Bäume gefällt, sodaß man jetzt frei nach der Neustadt sieht. Leider werden dort keine Privathäuser aufgeführt, weil die Mittel daran fehlen.

Das Geld ist knapp, das merken wir im Geschäft leider nur zu gut und die täglichen Klagen darüber wollen nicht verstummen. […] In dieser Woche will ich Schaufenster dekorieren; viel Lust habe ich zwar nicht, weil die Kunden doch nicht kaufen. […]

Bei Klotz war Ostern Taufe, Erna, jetzt Frau Naumann, hatte vor Weihnachten einen Jungen bekommen.

Bild 19: Bezugsschein für Spinnstoffwaren für Erna Naumann, geb. Klotz

Bild 20: Familie von Ewald (r.) und Erna (2. v. r.) Naumann

Cüstrin-Altstadt, den 18.4.1926

[…] Vorgestern ist der Stadtrat Nicol gestorben und wird morgen von der Leichenhalle des neuen Friedhofs auch beerdigt. Am 2ten Ostertag habe ich ihn noch besucht und einen Cognak mit ihm getrunken, er war im Februar 79 Jahre alt geworden. Im Allgemeinen sind hier in letzter Zeit sehr viel Menschen gestorben und man staunt über die Menge Gräber auf dem Waldfriedhof.

Heute fängt hier die Gesundheitswoche an, es sind viel Veranstaltungen getroffen, auch werden viel wissenschaftliche Vorträge und bildliche Vorführungen von Ärzten stattfinden. Die Moebische Drogerie ist wieder in andere Hände übergegangen und zwar an einen Herrn Fetzer aus Züllichau.

Die Pfeiler der Oderbrücke sind fertig gestellt und nun beginnt der Oberbau. Der rechte Bogen nach der Mittelschule zu, ist schon aufgebracht, der alte Bahnhof Altstadt ist abgebrochen und gestern das alte Holz versteigert worden, wann mit dem Aufbau des Neuen begonnen wird, kann ich noch nicht sagen. […] Die Eisenbahnbrücke über die Oder wird 1,40 m und die über die Warthe 1,84 m höher gelegt, was einem ganz komisch vorkommt, da dadurch die schöne Aussicht nach Bleyen & Gorgast etc. beeinträchtigt wird.

Auf der neuen Aufspülung vor dem Zorndorfer Tor nach der Warthe zu, wird jetzt eine neue Uferstraße gelegt und auch die Straße durch den Hohen Kavalier, wo die Straßenbahn durchgehen soll, wird in Angriff genommen. Die Buddelei bei uns ist unheimlich, es kann kaum noch ein Fußwerk die Straße passieren. Die Kanalisation an der Oder erhält größere Cementröhren, an manchen Stellen wird die Erde bis 6 mtr tief ausgehoben und der Durchgang auf dem Gohrin [das Gohrintor] ist längere Zeit gänzlich gesperrt. […]

Bild 21: Drogerie Hermann Moebis (ganz links); westliche Marktplatz-Seite

Bild 22: Gohrin-Tor (links) und rechts der Gohrin-Ravelin

Cüstrin-Altstadt, den 3.7.1926

[…] Das Hochwasser hat in den Niederungen der Oder und Warthe großen Schaden angerichtet, große Flächen von Wiesen, Getreide und Hackfrüchten sind vernichtet – und viele viele Arbeit ist umsonst verrichtet worden. Die Dampfer und Kähne liegen immer noch vor den Brücken still, das Wasser muss noch ca. 1 m fallen, bis die Schifffahrt wieder aufgenommen werden kann.

Heute las ich in unserer Zeitung, daß im Riesengebirge wieder ein Wolkenbruch mit großen Niederschlägen gewesen ist, welcher großen Schaden dort angerichtet hat, vielleicht tritt dadurch auch bei und wieder ein wachsen der Oder ein. Der jetzige Nordwind treibt die Regenmassen nach dem Gebirge, wo sie dann dort niedergehen und die Oder zum Steigen bringen.

Am ersten Juli ist der Personenzug Berlin – Schneidemühl zum ersten mal über das neue Gleis gefahren und nun wird der ganze Ver[kehr] auf dieser Strecke darüber geleitet. Das frühere Gleis wird nun abgebrochen, damit die Bogen für das 2te neue Gleis Schneidemühl – Berlin aufgebaut werden können. Sobald solches geschehen, werden dann das letzte alte Gleis und die alten Brückenpfeiler auch verschwinden und nur noch die beiden neuen Gleise befahren werden. Das alles soll, wenn irgend möglich, noch bis zum ersten Oktober geschafft werden. Es gibt dann einen Bahnsteig, von wo aus die Züge rechts und links bestiegen werden. Mit dem Bahnhofsbau wird wohl erst begonnen werden, wenn die anderen Anlagen fertiggestellt sind.

Die Göritzer Chaussee war gänzlich für den Verkehr gesperrt, wegen Durchbruchsgefahr; die Eisenbahn hat viele Züge von Sand und Kies angefahren um den Durchbruch beseitigen und das Loch aufzufüllen, heute ist nun die Gefahr vorüber.

Bild 23: Der erste Personenzug fährt über die neue Oderbrücke am 1. Juli 1926

Cüstrin, den 27.7.1926 (geschrieben von Ernst Langlotz)

[…] Das Hochwasser ist sehr langsam abgefallen und die Wiesen stehen noch größtenteils unter Wasser. Die Heuernte in den Kietzerwiesen ist völlig verloren, sodaß im Winter großer Futtermangel eintreten wird.

Der Brückenbau schreitet richtig vorwärts, zur Zeit wird das 2. Gleis errichtet und das erste ist Anfang Juli in Betrieb genommen worden. Auch der Neubau Bahnhof Altstadt ist ausgeschrieben worden, überall wird tüchtig geschafft, denn Anfang Oktober soll der zweigleisige Betrieb aufgenommen werden. […]

Cüstrin-Altstadt, den 28.9.1926

[…] Am vorigen Sonntag war hier große Zusammenkunft vom Rotkämpferbund, es waren wohl ca. 2000 Menschen, 30 (?) und 4 Musikkapellen. Zur Sicherheit waren ca. 24 Schupo von Frankfurt/O. Hier, es ist aber nichts passiert. Ein haben (?) sie nicht erhalten und abends geben 9 Uhr sind die Teilnehmer wieder abgerückt.

Am Sonnabend ist Maurermeister Ferdinand Kube der Häuser Baron von Cüstrin beerdigt, es war ein so großes Begräbnis, wie es selten vorgekommen ist. Er war mit seinem Auto nach Frankfurt gefahren und hatte bei der Regierung zu tun, bei seiner Rückkehr wurde ihm unwohl, es trat Gehirnschlag ein und nach einigen Stunden war er tot. Liermann [Paul Liermann] hat wieder den Reichsgarten übernommen und bei der Einweihung ein sehr gutes Geschäft gemacht. Frau Pauline König [1913: Witwe, Am Markt 119, Altstadt] ist auch gestorben, sie war über ein Jahr krebsleidend und hat viel aushalten müssen.

Unser Rathaus wird jetzt neu abgespritzt und wird dann wieder eine Zierde für den Marktplatz werden.

An den Eisenbahnbrücken wird noch tüchtig gearbeitet und wird in den nächsten Tagen auch das zweite Gleis Schneidemühl – Berlin in Betrieb genommen werden. Mit dem Abbruch der alten Pfeiler ist schon begonnen, sie werden durch Wassersprengung abgenommen. An der Betonmauer bei Kosckys Malzfabrik wird flott gearbeitet, damit die Zufuhrstraße nach dem Schlachthof und nach der Oderablage dauerhaft hergestellt wird.

Am Entfestigungsgelände hat sich in letzter Zeit wenig geändert, die Katholische Kirche soll erst im nächsten Jahr dort errichtet werden. Die Straßenbahn hat seit einiger Zeit den 10-Minuten-Verkehr eingeführt, der Betrieb geht also flott. […]

Bild 24: Der Reichsgarten in der Altstadt (auf der Oderinsel)

Bild 25: Bau an den Eisenbahnbrücken über die Oder

Cüstrin-Altstadt, den 17.11.1926

Die Bahnbrücken sind nun vollständig in Betrieb und von den alten Pfeilern sind nun auch verbliebene gänzlich abgebrochen, auch der große Drehpfeiler ist verschwunden, sie müssen alle bis 1 ½ m unter dem Flußbett abgenommen werden und wird daran Tag und Nacht gearbeitet. […] Das Bahnhofsgebäude ist nun gerichtet, aber noch nicht eingedeckt, das Geld ist wohl sehr knapp geworden, weil Fölsing in die Oder gesprungen und dabei ertrunken ist. Rechtsanwalt Kuhn hat sich in der Artilleriestraße auch ein neues Haus gebaut, im Allgemeinen ist aber die Baulust nicht so groß. […]

Betreffs des Radio überlasse ich es deiner Meinung, Neumann nebenan hat sich seit einigen Tagen auch so ein Ding bauen lassen, jedenfalls hat es der Uhrmacher Paulick besorgt. Heute Abend ist Kirchenkonzert in der Pfarrkirche, es wird wohl wie immer schwach besucht sein. […]

Bild 26: Ehemalige Villa des Rechtsanwalts Kuhn in der Artilleriestraße (Oderinsel), inzw. abgebrochen.

Bild 27: Werbeanzeige der Uhrmachermeisters Paulick

Cüstrin-Altstadt, den 1.4.1927

[…] Das Hochwasser will uns nicht verlassen, kaum ist dasselbe etwas abgefallen, so kommt schon wieder neues Wachswasser. Jetzt soll eine neue Brücke über die Warthe zwischen Cüstrin und Landsberg gebaut werden, es besteht nur großer Streit zwischen den Ortschaften wo dieselbe hinkommen soll.

Bei unserem Altstadtbahnhof ruht augenblicklich auch alles, die Behörde weiß wohl nicht recht, was sie machen soll. Die Zufuhrstraße nach dem Schlachthof ist auch noch nicht fertig, ich habe mir dieselbe vorigen Sonntag angesehen und dabei gefunden, daß die Sache ganz schön verpfuscht ist. Dem Bahnhofsgebäude wollen sie vielleicht noch eine kleine Haube aufsetzen, damit das Kind nicht zu niedlich aussieht. […]

Bild 28: Zufahrt zum Schlachthof auf der Oderinsel

Cüstrin-Altstadt, den 20.2.1928

[…] Es sollen wieder einige Festungswerke durch Arbeitslose niedergelegt werden, aber von Hohen Kavallier ist noch nichts bestimmt.

Jetzt ist auch der neue Stadtarzt hier angekommen, er wohnt in dem neuen Hause an der Brückenstraße, das Gymnasium soll auch neu gebaut werden und zwar ist ein Platz im Glacis an der Brückenstraße, oder ev. auch in der Höhe von Hechts Villa in Aussicht genommen. Das alte Gymnasium ist ev. für das Lyceum in Aussicht genommen.

Stadtbaurat Hecht hat die (?) über die Betriebsabteilungen abgegeben und sind dieselben vom 2ten Bürgermeister Symianowski übernommen worden.

Der Verein der Installateure und der Häusler mit Gas- und Elektrischen Artikeln haben sich jetzt gegen die Stadt beschwert. Die Stadt soll keine Installationsarbeiten ausführen lassen, welche innerhalb der Häuser liegen, sondern nur auf der Straße bis an die Häuser legen lassen. Ferne soll die Stadt,die betroffenen Artikel einkaufen und im engros an die Händler und Installateure mit 10% Nutzen abgeben. Es soll eine Kommission aus Magistrat, Stadtverordneten und Händlern gebildet werden, die die Angelegenheit überwacht. Wie sich die Behörden dazu stellen werden kann ich heute noch nicht sagen, jedenfalls bin ich davon nicht so recht erbaut.

Der abgebrannte Güterschuppen, wo eine Unmenge Waren mit verbrannt sind ist nun vorläufig durch einen kleinen Holzschuppen ersetzt worden, so daß das Stückgut hier wieder ausgegeben werden kann.

Wir haben hier jetzt wieder ziemliches Hochwasser, hoffentlich verläuft es sich bald wieder, damit kein größerer Schaden angerichtet wird. […] Im Geschäfte ist noch der ruhige Gang, die Landleute halten mit ihren Käufen sehr zurück.[…]

Cüstrin-Altstadt, den 1.8.1929

[…] Wagners [1928: Richard Wagner, Justiz-Oberinspektor] ziehen am 1ten Oktober weg von uns und in einen Neubau an der Brückenstraße, den Schlossermeister Sauer [Es gab zwei: Johannes und Fritz Sauer, beide Schlossermeister] ausführen läßt. Was wir für einen Mieter bekommen werden, wissen wir noch nicht.

Auf dem Gohrin und in der Ahornstraße werden noch je 2 Baracken für nicht zahlende Mieter aufgestellt. Der Kattewall ist nun fast ganz fertig gestellt und wird sehr besucht. Die Hinterhäuser der Kietzer Straße haben dadurch viel gewonnen.

Am Gymnasium wird viel herum gebaut, es kommen Doppelfenster und das Dach wird mit Dachpappe belegt. Ein neues Gebäude wird nun gar nicht errichtet, da die Platzfrage gescheitert ist, weil jeder Lehrer dasselbe vor seiner Wohnung errichtet haben mochte. Die Schulen haben nun wieder ihren Anfang genommen, es ist dadurch wieder etwas mehr Leben in die Bude gekommen.

Das Wasser fällt täglich ab, es steht schon so niedrig, daß die Schifffahrt kaum noch fahren kann. […]


Der Fleischermeister Füchsel [Eduard Füchsel, Kommandantenstraße 110, Altstadt] ist auch 57 Jahre alt gestorben. […] Der geschäftliche Betrieb ist noch der alte, an einen flotteren Geschäftsgang ist vorläufig gar nicht zu denken.

Bild 29: Kattewall und Hinterhäuser der Kietzer Straße

Bild 30: Hofseite des Gymnasiums (links mittig) mit Turnhalle (rechts unten), Schulstraße, Küstrin-Altstadt

Küstrin-Altstadt, den 17.3.1930

[…] Die Oder und Warthe waren schon beinahe ausgetrocknet, aber nun wird es wohl wieder mehr Wasser geben. […] Die Zeiten sind jetzt herrlich, unser Stadtparlament hat nun bald ausgewirtschaftet und so ist auch der Mittelstand bald ruiniert. Die Kaufkraft läßt täglich nach, nur die Zwangsvergleiche und Conkurse nehmen täglich zu, über die Regierung muss man ja leider Stillschweigen walten lassen, daß man nicht noch eingesperrt wird. Das ist die große Freiheit, die dem Volke zuteil geworden ist. […] Das Geschäft hat sich halten lassen und [?] der größte Teil der Industrie hat Arbeitseinschränkung. Unsere löbliche Regierung hat davon so gut wie keine Ahnung, sie hilft nur das Vermögen mit verwirtschaften, wie ich schon früher den Herrn immer gesagt habe: „Zum Niedereißen sind sie gut, blos zum Aufbauen nicht“ und so ist es auch.

Das alte Krankenhaus in der Kommandantenstraße ist nun abgebrochen, es soll eine Verbindungsstraße [Bastion-Kronprinzessin-Straße] von der Wallstraße nach der Kommandantenstraße gelegt werden.

Der Kietz ist nun nach Küstrin eingemeindet worden, die Kietzer sind sehr ärgerlich. […]

Bild 31: Bekanntmachung der Eingemeindung

Bild 31: Bekanntmachung der Eingemeindung

Bild 32: Ende der Kommandantenstraße, links das Krankenhaus

Bild 33: Blick vom Ende der Kommandantenstraße in Richtung des früheren Krankenhauses, jetzt Bastion-Kronprinzessin-Straße

Küstrin-Altstadt, den 19.7.1930

[…] Hier wird die Oderbrücke [Straßenbrücke] verstärkt, was eine Arbeit macht und auch Störungen hervorruft, da der Belag aufgerissen werden muß, sie soll auch ca. ½ Mtr gehoben werden. Auf der Freiburger Bahn [Zugstrecke, benannt nach Freiburg in Schlesien] werden neue stärkere Brücken gebaut und nach Fertigstellung wohl die alten Bogen abgerissen werden. Der neue Sparkassenbau ist im Rohbau fertig und bedarf nur noch der inneren Einrichtung.

Die Stadt hat jetzt wieder eine neue Anleihe von 500000 RM aufgenommen Auszahlung 91 ½ Zinsen 8 ½ % und noch Amortisation.

Im nächsten Jahr wird wohl die Staatspleite da sein, denn die Steuern die auf der einen Seite erhöht werden sollen, gehen auf der anderen Seite, durch Konkurse, Einstellung der Betriebe doppelt verloren. In der Neustadt ist auch ein Eisenkurzwaren Geschäft eingegangen. Hier in der Altstadt ist G. F. Hartwig in Concurs und so geht das fort.

Küstrin-Altstadt, den 19.8.1930

[…] G. F. Hartwig ist jetzt in Konkurs am 22. August kommt auch das Haus zum Verkauf, ich bin neugierig was es bringen wird. Für den Sohn sollen wohl 10 mlle eingetragen sein und die Hypothek mit RM 45000 abschließen, welche Summe wohl aber nicht heraus-kommen wird. F. Bettin hat auch Zwangsvergleich beantragt, die Aussichten sind also im Allgemeinen recht traurig. […]

Bild 34: Stempel der Firma G. F. Hartwig

Küstrin-Altstadt, den 18.9.1930

[…] G. F. Hartwig ist nun im Concurs, das Haus hat Sauer für 42000 RM gekauft. Für den Sohn sind noch 7000 M übrig geblieben, die ganze Familie will wohl nach Berlin gehen. Der alte ist nun 69 Jahre alt und sucht im Eberswalder Offerten-Blatt eine Stelle als Einkäufer. Bettin hat auch das Vergleichsverfahren beantragt. […]

In dem aufgefüllten Gelände werden jetzt Kanal und Wasserleitungsröhren gelegt, eine furchtbare Buddelei. Ebenso ist es an der Oder und Warthebrücke und in der Brückenstraße, wo auch Kanalisation gemacht wird. Das ganze Eisenbahn Gleis wird bei dem Bahnüber-gang ca. 6 mtr nach der Warthebrücke hin verschoben, die neuen Brückenbogen von der Freiburg-Stettiner Bahn sind bereits fertig gestellt. Hotel Kronprinz ist schon wieder einmal verkauft, natürlich hat der vorige Besitzer verlieren müssen. Die neue Sparkasse wird wohl am 1. Novbr bezogen werden, ich glaube aber sie ist wohl noch etwas zu naß im Bau.

Der alte Kämmerer Schieritz [Richard Schieritz, Gemeine-Einnehmer a. D., Berliner Straße 28, Altstadt] ist am Montag auch beerdigt worden, ebenso ist die Frau vom Schlachthofinspektor an Krebs gestorben.

Bild 35: Hotel Kronprinz und Städtische Mittelschule (links angeschnitten) an der Oderbrücke

Küstrin-Altstadt, den 10.10.1930

[…] Wir hatten während der letzten 2 Wochen sehr häßliches Wetter und fast jeden Tag Regenschauer, so daß die Landwege kaum zu passieren sind und die Landleute die Hackfrüchte und Kartoffeln schlecht einernten können. Die Fabrikkartoffeln kosten pro Ctr. 0,70 bis 0,90 RM. Die Esskartoffeln 1,70 bis 2,[??] RM. Damit kann der Bauer nicht bestehen und die Kaufkraft wird immer schlechter.

[…] Die Oderbrücke [Straßenbrücke] ist zur Hälfte fertig gestellt und nun geht es an die andere Hälfte. Die Bogen werden sehr verstärkt, so daß das Schwanken dadurch beseitigt ist. […] In der Brückenstraße wird das Bahngleis und auch das Straßenbahngleis verlegt ebenso die Kanalisation für das aufgespülte Gelände gelegt.

[…] Die Sparkasse ist fertig gebaut, es ist eine schrecklich große Bude für den Betrieb. Am Ostbahnhof [Bahnhof Küstrin-Altstadt] hat der Tiefbau Unternehmer Zölker ein Wohnhaus gleich hinter Zahlmeister Wiegleb [Detleffsenstraße 1 auf der heutigen Oderinsel, Küstrin-Kietz], da waren 2 Baustellen die Ferd. Kube vor dem Kriege gekauft hatte.

[…] Bei G. F. Hartwig ist immer Konkursmassen Ausverkauf, Fritz Bettin will einen Vergleich mit 60% anstreben.

Bild 36: Die neue Stadtsparkasse in der Neustadt

Bild 37: Wohnhaus Zölker auf der Oderinsel, inzw. abgebrochen.

Küstrin-Altstadt, den 20.11.1930

[…] Das Hochwasser ist bis heute um 1m gefallen, es stand bei 4 mtr und heute sind es 3 mtr. Die Oder und Warthe Ablage [Häfen] standen vollständig unter Wasser, so daß von einem Schiffsverkehr keine Rede mehr war. Die Dämme der Oder u. Warthe haben hier der Flut stand gehalten, es wäre aber hier noch schlimmer geworden, wenn in der oberen Oder keine Dammbrüche stattgefunden hätten. Das große Glacis war auch sehr überschwemmt, so daß man dasselbe bis heute noch nicht passieren kann. Die ganzen Schrebergärten auf dem Gohrin sind auch vollständig unter Wasser, in die Stadt ist es nicht eingedrungen, die Stadt und Wallgräben sind fast bis an das Ufer gefüllt.

Die neue Turnhalle vom Real Gymnasium [Siehe Bild 30] nun bald fertig sein, sie ist ganz massiv mit einem extra gebauten Ankleideraum. Die Innen Einrichtung soll auch ganz neu hergerichtet werden, wozu ein Betrag von RM 18000 verlangt wird.

Der Hohe Kavalier soll nun der Stadt unentgeltlich überlassen werden und als Notstandsarbeit zum Abbruch übereignet werden. Wann die Niederlegung beginnen wird, weiß ich noch nicht, jedenfalls wird bald damit begonnen werden, damit es noch Baustellen gibt. An der Oderbrücke wird tüchtig gearbeitet, es werden jetzt die Straßenbahnschienen aufgelegt, es werden wohl aber immer noch 2 Monate vergehen, da die Brücke dann auch noch gehoben werden soll.

G. F. Hartwig hat sich mit seinem Konkursverwalter verkracht und soll nun Stempeln gehen, so daß nur der Sohn und ein junger Mann den Verkauf besorgen. Morgen ist Stadtverordneten-Versammlung wo auch die Wiederwahl des Stadtbaurat Hecht und die Wahl des 2ten Bürgermeister auf der Tagesordnung stehen.

Ebenso eine neue Anleihe von RM 45000 soll hereingenommen werden für Neupflasterung des Neumarktes (früher Klein Asien) etc. etc. Der große Benzintank (Shelloel) in der Brückenstraße ist nun auch bald fertig gestellt.

Bild 38: Überschwemmte Schrebergärten in Küstrin am 16.11.1930

Bild 39: Die Oderablage auf der „Oderinsel“, heute Teil von Küstrin-Kietz. Nicht mehr vorhanden.

Bild 40: Wartheablage, Küstrin-Neustadt, heute Kostrzyn.

Küstrin-Altstadt, den 18.2.1931

[…] Die Grippe ist hier wieder stark aufgetreten, es liegen viele daran krank und hier sind viele Leute daran gestorben.

[…] Vorige Woche hat sich der Schloßpfarrer Müller von der Schloßkirche verabschiedet, er ist als Oberpfarrer nach Luckau versetzt und Superintendent geworden. Nun ist wieder der Pfarrer Köhn von der Marienkirche vorläufig die Pfarre und Schloßkirche bestellt.

Das Lyceum wird von April ab nach der leerstehenden Volksschule, Landsberger Straße am Kirchhof gelegt. Die Knaben und Mädchen Mittelschule sollen unter Rektor Hempel vereinigt werden.

Die Straßenbahn fährt nun wieder vom Bahnhof Altstadt ab, da die Oderbrücke wieder dazu freigegeben worden ist. Die Hebung der Brücke ist sofern fertig, daß die großen Steinblöcke unter geschoben sind, es sind aber an den eisernen Bogen von viele Nieten einzuziehen. An der Odervorflut hinter Wolters Schuppen soll ein Umschlaghafen gebaut werden, die Stadt will das Terrain geben und der Fiskus soll die Ausführung der Arbeiten besorgen.

Der alten Fuhrmann, Kalk u. Dachpappenfabrik, ist nun auch im Alter von 94 Jahren gestorben. Rechtsanwalt und Notar Kyritz ist nach der Altheide, er hatte Grippe & Herzkrankheit, es soll auch nicht so besonders mit ihm stehen. Sanitätsrat Dr. Ziegner ist jetzt Stadtverordneten Vorsteher geworden DSP. und der alte Danz Stellvertreter D.S.P. Direktor Lanz von der Nordd. Kartoffelmehlfabrik hat sein Amt niedergelegt, er hat den Vorsitz von der Vereinigung der Kartoffelmehl und Stärke-Fabriken übernommen. Richters Brauerei ist von der Schultheiß-Patzenhofer angekauft worden, der Betrieb soll stillgelegt werden und nur das Grundstück als Niederlage dienen.

[…] Am Hohen Kavalier wird tüchtig gearbeitet, wenn man bedenkt was der Kerl einmal für Arbeit verursacht hat und wie fest er jetzt noch ist, so muß man wirklich über die derzeitige Ausdauer staunen.

Bild 41: Schleifung des Hohen Kavaliers, Vordergrund die Brückenstraße

Bild 42: Lyzeum in der Landsberger Straße hinter der Feuerwehr

Küstrin-Altstadt, den 16.3.1931

[…] Die Firma C.A. Pritzel hier hat auch das gerichtliche Vergleichsverfahren beantragt und so werden noch mehr folgen, es kann ja gar nicht anders sein.

Am Hohen Cavalier wird tüchtig weiter gearbeitet und Schutt nach der Neustadt zur Aufbesserung der ungepflasterten Wege gefahren. So einen langen schneereichen Winter wie diesmal haben wir seit vielen Jahren nicht gehabt und wäre es wirklich Zeit, daß der Matsch ein Ende nimmt.

Bild 43: Werbung der Firma C. A. Pritzel

Küstrin-Altstadt, den 30.8.1931 (geschrieben durch die Tochter)

[…] Ich schreibe schon das dritte Mal an Eurem Brief. Gestern sollte er noch in den Kasten, als ich schrieb und allein war, gab es plötzlich eine unheimliche Detonation im Hinterzimmer, ein Stuhl hob sich sogar in die Höhe. Ich dachte, der Teufel sitzt im Schornstein. Einem vorübergehenden Herrn warf ich den Hausschlüssel zu und betrachtete dann mit ihm den Schornstein im Lokus. Viel Mut hatte er nicht, und so holte ich einen Polizisten. Der stellte fest, das ein Quadratmeter Steine in dem Lichtschacht lagen. Dann gab ich ihm Puffel und den Bodenschlüssel mit, er hat alles oben nachgesehen und nichts gefunden. Ernst holte ich auch noch um 11 Uhr, wir fanden eine lange Schnur im Hausflur, aber bei Tage hält man dieselbe nur für eine Verkettung von Umständen.

[…] Heute hat sich mein Schreck gegeben und wir sagen uns, daß durch die andauernden Regentage und durch die Erschütterung der vorbeifahrenden Lastautos der Schornstein baufällig geworden ist. Im Hinterzimmer gab es vor 10 Tagen auch einen gewaltigen Schreck, Scheiben klirrten und ein halber Mauerstein, ein Sprengstück vom Hohen Kavalier landete auf dem Teppich. Wir flogen 10cm hoch im Bette, die ganze Bude zitterte. Hans und Kurt sagen, so sei es im Felde gewesen. […] Viele Häuser haben Risse und durchschlagene Dächer. Bis nach dem Schloß sind einmal Klamotten geflogen, Bäcker Klingbeil [Carl Klingbeil, Bäckermeister, Markt 27] wurde in seinem Schlafzimmer am Auge verletzt. Jetzt wird die Vorderfront vom Hohen Kavalier eingerissen. Ich sende ein paar Aufnahmen mit, leider habe ich selbst entwickelt, sonst wären sie besser geworden.

Frau Gaedke hat zum 1. Okt. gekündigt, ihr Vater ist nach Grünberg i/ Schlesien versetzt und da gehen die jungen Leute mit, da sie sich keine Wohnung halten können. […] Römhold [Otto Römhold, Lederhandlung, Markt 116] steht sehr wacklig, von Carow – Neustadt [Franz Carow, Weißwaren, Zorndorfer Str. 40] hat sich der Älteste aus Nahrungssorgen erschossen.

Bild 44: Lederwaren Otto Römhold, südliche Marktplatz-Seite

Bild 45: Geschäft von Franz Carow – Auf dem Foto ganz rechts

Bild 46: Werbeanzeige von Franz Carow

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