Was müssen unsere Vorfahren in mancher Beziehung doch für beneidenswerte Leute gewesen sein! Nur selten einmal wurden sie durch ein außergewöhnliches Ereignis aus ihrer beschaulichen Ruhe gestört. Kein Hasten und Zagen, kein Drängen und Lärmen! Sowohl in der Werkstatt als auch in der Amtsstube konnte man mit aller Ruhe und Gründlichkeit die Arbeit erledigen. Und wenn wir hören, wie gründlich manchmal vorgegangen wurde, welcher wert auf Äußerlichkeiten gelegt wird, dann müssen wir Menschen einer schnelllebigen Zeit doch sogar manchmal den Kopf schütteln. Wer macht heute noch viel Aufhebens davon, wenn er die Rechte eines Bürgers erwirkt. Artikel 17 der Reichsverfassung bestimmt einfach, die Wahlberechtigung wird von der Dauer des Aufenthaltes in der Gemeinde abhängig gemacht, und nach Ablauf dieser Frist erwirkt jeder sämtliche Rechte eines Bürgers (die Pflichten hatte man ihm schon vorher zu tragen erlaubt). Früher war das eine nicht ganz so einfach zu regelnde Angelegenheit, oft mit Kosten verknüpft und von der Beibringung gewisser Papiere abhängig. Über die Rechte der Bürger in den Zeiten des frühen Mittelalters ist zwar von Küstrin wenig bekannt. Fest steht jedoch, daß sie trotz des Wasserreichtums der Oder- und Warthestadt und trotz der damals noch ausgedehnten Waldungen weder das recht hatte, frei zu Fischen, noch frei Holz zu holen. Jeder, der das Bürgerrecht erwerben wollte, mußte zunächst schwarz auf weiß nachweisen können, daß er "frei von Schuld und Fehler" seinen bisherigen Wohnort verlassen habe. Bereits im 16. und 17. Jahrhundert konnten nur Hausbesitzer Bürger werden. Und da Kriegsdienste zu leisten, eine der Hauptbürgerpflichten war - verblieb doch damals sogar bei einem Hausverkauf die Rüstung des Besitzers seinem Nachfolger -, wurde 1706 bestimmt, daß das Bürgerrecht in Zukunft nur dem zuerkannt werden sollte, der mit Ober- und Untergewehr erscheinen konnte. Auch aus konfessionellen Gründen entstanden manchmal Schwierigkeiten. So bringt Berg in seiner "Geschichte der Stadt und Festung Küstrin" folgenden Ratsprotokollauszug: "Garnweber N., der katholisch ist, will allhier Meister und Bürger werden. Er soll zunächst versprechen, seine Religion fahren zu lassen, und sich bei den hiesigen Geistlichen angeben." Und wie dann weiter berichtet wird, hat der Garnweber nachher seinen Übertritt auch tatsächlich vollzogen. "Wess Brot ich eß, dess Lied ich sing". Heute muten uns derartige Bestimmungen noch mehr als mittelalterlicher Zopf an. Die Aushändigung des Bürgerbriefes, der mit großem Fleiß und reich verziert, einige Kosten (schon damals hatten die städtischen Kassen ein einnehmendes Wesen!), deren Höhe sich nach den wirtschaftlichen Verhältnissen der Antragsteller richtete. Schlächter und Bäcker - schon damals als gut dastehende Gewerbetreibende gewertet- zahlten 5 Taler, Gewandschneider und Brauer 4 Taler, Töpfer und Leinweber 3 Taler. Eine wesentliche Änderung brachte dann 1808 die Städteordnung. Von diesem Zeitpunkt ab entschieden die Stadtverordneten über Gewährung und Nichtgewährung des Bürgerrechts. jeder Antragsteller mußte seinem Gesuch ein polizeiliches Führungszeugnis beifügen. Alle Unterschiede in der Höhe der zu zahlenden Beträge verschwanden. Jeder, der einen eigenen Hausstand gründen oder ein selbständiges Gewerbe betreiben wollte, mußte vorher das Bürgerecht erwerben. Ob infolge dieser Bestimmung die angehenden Ehemänner überhaupt keinen Anlaß zu Klagen mehr gaben, entzieht sich freilich unserer Kenntnis. Die Verleihung der Bürgerrechte gestaltete sich immer zu einem festlichen Akt, bei dem der aufzunehmende Bürger in Gegenwart des Magistrats folgenden Eid zu schwören hatte: " Ich gelobe und schwöre, daß ich, nachdem ich von E.E Magistrat zum Bürger dieser Stadt angenommen worden bin, E.Kgl. Majestät von Preußen, meinem gnädigsten König und Herrn, untertänig, treu und hold, auch E.E.Magistrat dieser Stadt gehorsam und gewärtig sein will. Ferner beschwöre ich, für das Beste dieser Stadt und Bürgerschaft nach meinem höchsten Vermögen zu wirken, alle nur als Bürger obliegenden Pflichten gewissenhaft zu erfüllen und insonderheit den Bestimmungen der allgemeinen Städteordnung mich unweigerlich zu unterwerfen und solche aufrecht zu halten, überhaupt mich in allen Verhältnissen so zu zeigen, wie es einem treuen Bürger eignet und gebührt. So wahr mir Gott helfe durch seinen Sohn Jesum Christum!"
Bürgergeld ist in Küstrin bis zur zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts gezahlt worden. 1853 erhob man von allen Zuziehenden 10 Taler Einzugsgeld; 1867 hob man diese Bestimmung wieder auf, wurde in den Forderungen mäßiger und berücksichtigte auch die wirtschaftlich Schwachen. Von allen, die wenigstens 6 Mark Staatssteuer zahlten, wurden 18 Mark Bürgergeld abverlangt, bis auch schließlich dieser alte Zopf den Forderungen unserer Zeit weichen mußte.
Wie man im alten Küstrin Bürger wurde
Neumärkische Zeitung
109. Jahrgang Ausgabe vom 24. November 1929
Wie man im alten Küstrin Bürger wurde
Küstrin, 22. November