In der Zeit, in der Küstrin zum Eisenbahnknotenpunkt ausgebaut wurde und Unternehmen der Stadt eigene Gleisanschlüsse erhielten, wurden auch viele imprägnierte Eisenbahnschwellen benötigt. Durch die verkehrstechnisch gute Lage an Oder und Warthe wurde die Stadt nun auch für Holzimprägnierwerke interessant.

Rütgerswerke AG

Das in Küstrin umgangssprachlich "Schwellentränke" genannte Imprägnierwerk an der Plantagenstraße 48 - 53 wurde durch Julius Rütgers im Jahre 1873 eröffnet. Das Grundstück zog sich bis zur Warthe hin und wurde durch die Ostbahn- und die Breslau-Stettiner Eisenbahnstrecke begrenzt. Hier wurden u.a. Eisenbahnschwellen, Brückenbauhölzer und Rammpfähle durch den Einsatz von Teer, hohem Druck und einem Vakuum haltbar gemacht. Das Unternehmen verfügte über einen eigenen Gleisanschluss und nutze in den 1930er Jahren auch das Firmengelände der Kupsch & Seidel GmbH (siehe weiter unten). Das Betriebsgelände an der Plantagenstraße wurde während der Kämpfe um Küstrin völlig zerstört.

Die Küstriner Imprägnieranstalt war Ende des 19. Jahrhunderts nur eine von 77 zu Rütgers Unternehmen gehörenden Imprägnieranstalten.

Der Konzern wurde im Jahre 1898 in eine Aktiengesellschaft mit dem Namen "Aktiengesellschaft für Holzverwertung und Imprägnierung" mit Sitz in Berlin Charlottenburg umgewandelt. Ab 1902 trug sie dann den Namen "Rütgerswerke AG". Der Hauptsitz befand sich in einem Hochhaus an der Berliner Hardenbergstraße (heute Ernst-Reuter-Platz), das im zweiten Weltkrieg in Schutt und Asche gelegt wurde.

Beleg Ruetgerswerke Kuestrin

 

Beleg des Küstriner Werkes der Rütgerswerke AG von 1930

kartoffelmehlfabrik2Karte 400

rütgerswerke siegelmarke

rütgerswerke siegelmarke2

 

Kupsch & Seidel GmbH

Kupsch Seidel GmbH Kuestrin Ansicht des Werkes der Kupsch & Seidel GmbH in Küstrin von 1921. Quelle: Siehe (1) im Kasten unten.

Die Kyanisieranstalt der Kupsch & Seidel GmbH an der Kutzdorfer Straße 35a (Stand 1913) wurde im Jahre 1907 durch Otto Kupsch und seine damalige Firma, die Holzhandlung Lange & Kupsch, Friedeberger Str. 11*(2) in Landsberg/Warthe, gegründet. Später wurde diese Niederlassung ein Filialbetrieb der Kupsch & Seidel GmbH, deren Zentrale befand sich in Berlin Wilmersdorf. In der Küstriner Filiale wurden Leitungs- und Telegrafenmasten imprägniert. Dieser erste Standort befand sich stadtauswärts gesehen auf der rechten Seite der Kutzdorfer Straße, etwa mittig zwischen den Abzweigen zur Forststraße und Birkenstraße. Heute befindet sich dort die Straßenecke Jana Pawla II / Tulipanowa. Später zog die Firma auf ein weiter nördlich liegendes, wesentlich größeres Grundstück an der Kutzdorfer Straße 55/63 in direkter Nachbarschaft zum Sägewerg von A. Küster (Nr. 64). Die Firma verfügte über eine eigene Bahnanbindung. Die Verlegung des ersten Anschlussgleises wurde schon im Jahre 1908 beantragt.

In den mir vorliegenden Gewerbe-Adressbüchern wird das Werk in Küstrin bis zur Ausgabe 1934 genannt, ein Telefonbuch von 1934 (Stand der Daten: 15.11.1933) enthält nur noch die Rütgerswerke AG mit einem "Werk II" in Küstrin. Die Rütgerswerke nutzten das Gelände an der Kutzdorfer Straße also als zweiten Standort in Küstrin weiter und führten dort die Imprägnierung von Leitungs- und Telegrafenmasten fort. Ob die Rütgerswerke die Kupsch & Seidel GmbH übernahmen oder ob sie geschlossen wurde, ist leider nicht bekannt.

Bei dem als Kyanisierung bezeichneten Verfahren wurde Holz durch das Bad in einer Quecksilberlösung imprägniert. Das Verfahren wurde durch den Engländer John Kyan entwickelt und 1823 patentiert (siehe Wikipedia).

 

Cüstriner Kyanisier- und Imprägnierwerke GmbH

Über dieses Unternehmen ist fast nichts bekannt. Es taucht in nur in Gewerbeadressbüchern zwischen 1927 und 1930 auf, dabei wird aber nie eine Adresse in Küstrin oder eine Telefonnummer genannt. In älteren oder neueren Ausgaben ist die Firma nicht verzeichnet. Wenn man nach dem Namen geht, könnte es sich dabei um einen Zusammenschluß der beiden erstgenannten Betriebe handeln -  möglich ist aber auch, dass diese GmbH nie über das Gründungsstadium hinauskam. Beides ist aber reine Spekulation. 

[Ergänzung vom 18.07.2020] Nachdem ich nun auf die Handelsregistereinträge beim Amtsgericht Küstrin gestoßen bin, haben sich ein Teil meiner Spekulationen als garnicht so falsch herausgestellt. Das Unternehmen wurde am 13.12.1924 ins Handelsregister B,  Nummer 24, beim Amtsgericht Küstrin eingetragen:

Gegenstand des Unternehmens ist der Betrieb eines Kyanisierwerks und eines Imprägnierwerks.
Stammkapital: 20 000 Reichsmark.
Geschäftsführer: Direktor Otto Kupsch, Groß Lichterfelde-West, und Direktor Nathanael Zwingauer, Charlottenburg.

Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Der Gesellschaftsvertrag ist am 11. November 1924 abgeschlossen. Die Gesellschaft wird rechtsgültig durch zwei Geschäftsführer oder durch einen Geschäftsführer und einen Prokuristen oder durch zwei Prokuristen gemeinschaftlich vertreten.

Geschäftsführer waren also Otto Kupsch (Mitinhaber der Kupsch & Seidel GmbH) sowie der Ingenieur Dr. Nathanael Zwingauer. Letzterer war Vorstandsmitglied der Rütgerswerke AG in Berlin Charlottenburg. Es spricht also sehr viel für eine Zusammenarbeit beider Unternehmen. Doch schon am 24.10.1928 wurde im Deutschen Reichs-Anzeiger bekanntgegeben:

Die Firma Küstriner Kyanisier- und Imprägnierwerke G.m.b.H. in Küstrin ist aufgelöst. Die Gläubiger der Gesellschaft werden aufgefordert, sich bei ihr zu melden. Berlin, den 24. Oktober 1928. Der Liquidator der Firma Küstriner Kyanisier- und Imprägnierwerke G.m.b.H. in Liquidation: Nathanael Zwingauer.

Der Grund für die Auflösung der GmbH ist jedoch noch unbekannt. Der Liquidation folgte am 21.11.1929 nach nur 5 Jahren die Löschung aus dem Handelsregister.

 

Quellen:

  • Beiträge zur Geschichte der Technik und Industrie: Jahrbuch des Vereines Deutscher Ingenieure, Band 20, 1930
  • Branchenadressbücher aus der Jahren 1902 bis 1941
  • Adressbücher der Stadt Küstrin 1883 - 1939/40
  • Werbeveröffentlichungen der Rütgerswerke AG
  • Küstrins holzverarbeitende Industrie, Wilhelm Fitzky, Königsberger Kreiskalender 1971
  • Von der Festungs- und Garnisonsstadt Cüstrin zum modernen Industriestandort Küstrin, Teil 1, Dr. Rudolf-Herbert-Tamm, Königsberger Kreiskalender
  • (1) Journals: Neumann & Kleylein: Das Zurückgehen der wasserlöslichen Phosphorsäure in Superphosphaten. Zeitschrift für angewandte Chemie. 1921. Ausgabe vom 8. März 1921. Seite 84. Copyright Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA. Reproduced with permission.
  • (2) laut Adressbuch Landsberg/Warthe 1913
  • Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam: 3B I V 789; Erweiterung der Anschlussgleise der Fa. Kupsch und Seidel auf dem Bahnhof Küstrin-Neustadt; 1908 - 1926
  • Adreßbuch der Direktoren und Aufsichtsräte, 1930
  • Deutscher Reichsanzeiger, div. Jahrgänge