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Die Hinrichtung Kattes, abgesehen von ihrer geschichtlichen Bedeutung, ist auch in ihrer Eigenschaft als Rechtsfall immer als eine cause célèbre betrachtet worden. War es Gesetz oder Willkür? War es Gerechtigkeit oder Grausamkeit? So steht die Frage. Unsere Zeit, einerseits in Verweichlichung, andererseits in Oberflächlichkeit, die nicht tief genug in den Fall eindringt, hat in dem Geschehenen einen Fleck auf dem blanken Schilde der Hohenzollern erkennen wollen. Ich meinerseits erkenne darin einen Schmuck, einen Edelstein. Daß es ein Blutkarneol ist, ändert nichts.

Entscheidend für die Beurteilung des Katte-Falles erscheint mir in erster Reihe die Frage: »Wie hat sich die damalige Zeit dazu gestellt?«

Lesen wir die zeitgenössischen Berichte, so kommt uns freilich der Eindruck, daß ein Zittern durch die halbe Welt gegangen sei. Sind wir aber aus dem »Sensationellen« der Erzählung erst heraus, beginnen wir zu sichten und zu sondern, so werden wir sehr bald gewahr, daß die tiefgehende, ganz unzweifelhaft vorhandene Bewegung der Gemüter nicht dem Katte-Fall, sondern dem begleitenden Kronprinzen-Falle gilt, und daß man in solch ungeheurer Aufregung war, nicht um des Geschehenen, sondern um des vielleicht noch zu Geschehenden willen. Wird das Schwert, das den Leutnant von Katte traf, auch den Kronprinzen treffen? Das war es, was alle Schichten der Gesellschaft in Schrecken setzte. Von dem Augenblick an, wo diese Furcht aus den Gemütern gewichen war, war der Schrecken überhaupt dahin, und nur dem Umstande, daß die Schicksale Kattes und des Kronprinzen viele Wochen lang Hand in Hand gingen und fast identisch erschienen, nur diesem Umstande ist es zuzuschreiben, daß die Vorstellung, die Hinrichtung sei als etwas Außerordentliches oder gar Unerhörtes angesehen worden, jemals hat Platz greifen können.

Es liegt vielmehr umgekehrt, und weder in den Pöllnitzschen Memoiren noch in denen der Markgräfin findet sich, bei schärferer Prüfung, auch nur ein einziges dahin lautendes Wort. Es findet sich nicht und kann sich nicht finden: denn Hof, Adel, Armee fanden eben alles, was geschah, zwar streng, sehr streng vielleicht, aber schließlich doch nur in der Ordnung. Jedenfalls statthaft, zulässig. Ja die Familie selbst, so tief erschüttert sie war (vgl. die zwei vorstehenden Briefe), so bestimmt sie Begnadigung erwartet haben mochte, scheint den auf Tod lautenden Machtspruch des Königs in seinem Rechte keinen Augenblick angezweifelt zu haben.

Es ist nötig, so sagte ich, den Fall aus der damaligen Zeit heraus zu beurteilen, aber er besteht auch vor dem Urteil der unserigen, vorausgesetzt, daß unsere Zeit sich Zeit nimmt, auf die Spezialien des Falles einzugehen. Denn die Wandlung der Gesamtanschauungsweise, die die Welt seit hundertfünfzig Jahren erfahren hat, ist doch nicht so groß und stark, als manche glauben möchten, und wenn nicht alle Zeichen trügen, so stehen wir eben jetzt wieder auf dem Punkt, uns einer zurückliegenden und schon überwunden geglaubten Strenge mehr zu nähern, als immer weiter von ihr zu entfernen. Und ich setze hinzu: »Gott sei Dank«, ohne damit die Segnungen, die wir einer anderthalbhundertjährigen freiheitlichen Entwicklung verdanken, anzweifeln oder verkennen zu wollen.

Und so denn noch einmal: auch von unserem Standpunkt aus angesehen, war Katte nicht das Opfer einer Willkür oder Laune, sondern einer schweren selbsteigenen Schuld, indem er unter chevaleresken und in gewissem Sinne selbst unter loyalen Allüren (denn er diente seinem künftigen Herrn) in naiv-frivoler Weise durch alle Stadien des Hoch- und Landesverrats ging. Er war, um seines Kriegs- und Landesherrn eigene Worte zu zitieren, »dazu da, seinem Könige getreu und hold zu sein«, doppelt in seiner Eigenschaft als Offizier der Garde-Gensdarmes, die des Vorzugs genossen, »immédiatement an Seiner Majestät Allerhöchste Person attachiret zu sein«, – und was finden wir tatsächlich?

Der Kronprinz steckt in Schulden; Katte tut das Seine, diese Schulden zu mehren.

Der Kronprinz steckt in Debauchen; Katte geht ihm dabei mit Rat und Tat zur Hand.

Der Kronprinz steckt im Unglauben; Katte bestärkt ihn darin.

Der Kronprinz steckt in Komplotten mit seiner Mutter und seiner Schwester, mit fremden Höfen und Gesandten, und Katte macht den Zwischenträger und zuletzt gar den Liebhaber.

Der Kronprinz will desertieren; Katte nimmt es in die Hand und hält ihm einen Vortrag »über die beste Weise des Gelingens«. Endlich rüstet er sich selber zur Desertion.

Das sind so einige der »Species facti«; nur einige, aber gerade genug, um seinen König und Herrn mit allem Fug und Recht aussprechen zu lassen: »Und da denn dieser Katte mit der künftigen Sonne tramiret, auch mit fremden Ministern und Gesandten allemal durcheinander gestecket, er aber nicht davor gesetzet worden mit dem Kronprinzen zu complottiren, au contraire es Sr. K. Majestät hätte angeben sollen, so wissen Se. Majestät nicht, was vor kahle raisons das Kriegs-Recht genommen und ihm das Leben nicht abgesprochen hat.«

Es ist nur eines, was uns in diesem Schreckensschauspiel – denn ein solches bleibt es – widerstrebt und widersteht: der König wechselt hier die Rolle mit dem Richter. Er läßt das Recht über die Gnade gehen. Und das soll nicht sein.

Wenn aber etwas damit versöhnen kann, so ist es das, daß er dies im eigenen Herzen empfunden hat. Hören wir noch einmal ihn selbst: »Wenn das Kriegs-Recht dem Katten die Sentence publiciret, so soll ihm gesagt werden, daß es Sr. Königlichen Majestät leid thäte; es wäre aber besser, daß er stürbe, als daß die Justiz aus der Welt käme.« Ein großartiges Wort, das ich nie gelesen habe (und ich habe es oft gelesen), ohne davon im Innersten erschüttert zu werden. Wer will nach dem noch von Biegung des Rechts sprechen!

Es war ein grades Recht, freilich auch ein scharfes. Und das Schwert, das zuletzt diese Schärfe besiegelte – es existiert noch. Die Familie Katte selbst besitzt es, und auf dem alten Kattengute Vieritz, eine Meile von Wust, wird es bis diese Stunde aufbewahrt. Dreimal wurde es gebraucht, und drei Namen sind eingekritzelt. Der dritte und letzte aber heißt: Hans Hermann von Katte.

Aus: Wanderungen durch die Mark Brandenburg, von Theodor Fontane

Lizenz: gemeinfrei

(Quelle: http://www.zeno.org - Zenodot Verlagsgesellschaft mbH)