Die Wasser grau und schwer,
Und Wolken drüber her,
Und über den Mauern
Liegt es wie Trauern.

 

Jenseits der Oder, wo zwischen Werft und Weiden die Warthe rechtwinkelig einmündet, liegt Küstrin, ein durch die Jahrhunderte hin in den Geschichten unseres Landes oft genannter Name. Oft, aber selten freudig. Etwas finster Unheimliches ist um ihn her, und in meiner Erinnerung sehe ich den Ort, der ihn trägt, unter einem ewigen Novemberhimmel.

Über die Bedeutung des Namens fabeln die Chronisten in gelehrten Streitigkeiten; ich meinerseits begnüge mich mit dem Tatsächlichen, daß Küstrin um die Wende des Jahrtausends ein slawisches Fischerdorf, um zwölfhundert ein oppidum oder Flecken, und um dreizehnhundert ein civitas oder Stadt war. 1317 wird es zuerst als solche genannt. Ist dies sein Geburtsjahr als Stadt, so war es in eine schwere Zeit hineingeboren. Wenig später (1319) trat mit Markgraf Waldemar das askanische Haus vom Schauplatz ab und jenes bayerisch-luxemburgische Interregnum folgte, das gerade lange genug währte, die bis dahin blühende Mark in eine Wüste zu verwandeln. Von dem allgemeinen Elend war auch Küstrin betroffen, und die Blätter seiner Chronik erzählen ausgiebig von Ereignissen, wie sie damals in allen märkischen Städten, groß oder klein, so ziemlich dieselben waren: Fehden unter- und gegeneinander, Fehden mit den Pommern und Polen, Fehden mit Adel und Bischöfen, und dazwischen Überschwemmungen und Feuersbrünste, Mißernten und schwarzer Tod. Jedes Blatt ein Klageschrei. Und doch verklingt er an unserem Ohr, weil der statistisch-trockenen Aufzählung aller dieser Notstände die menschlich-erschütternden Züge fehlen. Und nur sie haben Wert, nur sie stimmen uns zu Lust oder Schmerz, und der scherzhaft zugespitzte Satz: »daß ein rauhes Wort Reinharts an Lorle uns mehr rühre als der Untergang einer Dynastie«, birgt einen Kern ernster und tiefer Wahrheit.

Schreckensvoll und doch inhaltsleer verging unseren Marken das 14. Jahrhundert.

Das ihm folgende fünfzehnte schien endlich eine Wandlung zum Bessern bringen zu sollen: die Nürnberger Burggrafen kamen ins Land. Aber die Wandlung, die mit ihnen kam, reichte nur bis an die Oder, und alles was »drüben« lag: die Neumark und das mit ihr dem Deutschen Ritterorden zugefallene Küstriner Land, hatte noch lange hin auf die Segnungen eines starken und wohlwollenden Regiments zu warten.

Erst als um die Mitte des Jahrhunderts Kurfürst Friedrich Eisenzahn alles jenseits der Oder gelegene Land für sich und seine Kurmark rückerwarb, zogen auch für diese Landesteile glücklichere Zeiten herauf, Zeiten, die nach abermals achtzig Jahren in »Küstrins Glanzperiode« gipfelten.

Das war unter Markgraf Hans.

Aus: Wanderungen durch die Mark Brandenburg, von Theodor Fontane

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