Dieser Text stammt aus "Pole, Jude und Franzose oder: Die Königsfeinde. Historisch romantische Zeitgeschichte Friedrich Wilhelms IV. von Eugen Hermann von Dedenroth - 1861" und behandelt die nahezu kampflose Übergabe der Stadt an die Franzosen im Jahre 1806. Ob alles in diesem Artikel historisch belegt werden kann, kann ich nicht sagen, einiges scheint zudem romantisch verklärt zu sein. Aber dennoch kann man sich die Situation anhand dieser Beschreibung gut vorstellen:

[...] Wir haben den Besuch des Königspaares auf den Wällen zu Cüstrin geschildert; kaum hatten die Wagen des Hofes das Festungsthor verlassen, als man die Zugbrücke aufzog und die Blendungen von den Geschützen nahm.

Der Generalmarsch hallte dumpf durch die Straßen der alten Stadt; oft war hier der Wirbel geschlagen, aber niemals klang er so ernst - Jeder fühlte die Bedeutung dieses Trommelschlags - für den Soldaten war es der Ruf zu den Waffen, für den Bürger die Mahnung, das Haus vor Feuer zu hüten und sich vor den Bomben in die Keller zu flüchten.

Die alte Zugbrücke fuhr rasselnd nieder und wieder auf, Versprengte von Jena sammelten sich in der Festung, Flüchtlinge und Tapfere, aufgelöste Schaaren und geschlossene Truppen, die Schritt vor Schritt der Übermacht gewichen.

Auf die Flüchtigen schaute der Bürger verächtlich herab, aber ein lautes Bravo erscholl und man schwenkte Hüte und Tücher, wenn eine Truppe männlichen Schrittes durch's Thor zog, im finsteren Auge den Durst, die Schmach von Jena zu rächen.

Noch spät am Abend - nachdem schon feindliche Plänkler vor der Festung erschienen, kamen die Usedom-Husaren, man sah es ihnen an, daß sie gefochten hatten, die Einen bluteten noch, die Andern waren flüchtig verbunden; nur mit Anstrengung hielten sich die erschöpften Reiter auf den todtmüden Rossen.

Die Bürger von Küstrin zankten sich darum, Husaren in's Quartier zu bekommen, jeder wollte die Tapferen bewirthen, obwohl er wußte, daß die Lebensmittel knapp sein würden in der Festung und er das Brod, das er den Kriegern gab, sich selbst und seinen Kindern entzog.

Der Commandant von Cüstrin, General von I. . . ., saß im Schlafrock am Theetisch bei seiner Familie; er war erschöpft von dem langen Stehen im Parolekreise und dem Spaziergang mit dem Könige in großer Uniform, den ganzen Tag hindurch waren Meldungen gekommen, einen so unruhigen Tag hatte er lange nicht gehabt.

Adele von I. . .., die Tochter des Generals, schenkte dem Vater Thee ein und eilte, ihm die Erfrischungen zu reichen, denn sie hoffte, daß er dann erzählen würde, was der König und die Königin gesprochen - da trat abermals der Kammerdiener in's Zimmer und meldete, daß ein Offizier der Usedom-Husaren den Herrn General zu sprechen begehre.

„Ich habe ja alle Meldungen erlassen," zürnte der General heftig, „hat Er's nicht bestellt? - sie können in's Quartier rücken -"

„Herr General, der Offizier behauptet, eine dringende Meldung zu bringen."

„Dringend? sie machen mich todt mit ihren Meldungen! - Der Offizier," sagte er laut, „soll zum Platzmajor gehen!"

Der Lakai entfernte sich.

„Lieber Vater," wagte Adele schüchtern den Einwand, „vielleicht ist es doch etwas von Wichtigkeit - der Feind naht -"

„Mag er kommen," unterbrach sie der General heftig, „dann wäre er doch endlich da und die Meldungen hätten ein Ende. Ich will auch essen, auch schlafen, die Menschen denken, ich wäre dazu da, mich für ihren unnützen Diensteifer den ganzen Tag hinzustellen -"

„Herr General," unterbrach ihn der wieder eintretende Lakai, „der Offizier läßt sich nicht abweisen - er sagt, er käme im Dienst des Königs zum Commandanten von Cüstrin - und der müsse für ihn zu sprechen sein."

„Der Unverschämte! - wie heißt er?"

Der Diener konnte nicht abwarten, denn schon ward die Thür aufgerissen und Kurt von Rochov trat in das Zimmer.

Das Antlitz des jungen Mannes war hochgeröthet, aber es war dies kein frisches Roth der Jugend und der Kraft, sondern jene hohe, bläuliche Röthe, welche nach großen Strapazen heißblütigen Männern eigen ist; die Uniform war mit Staub und Blut beschmutzt, das Haar hing ungeordnet um die Schläfe.

„Herr - was erlauben Sie sich?" fuhr der General entrüstet auf, Sie drängen sich ohne Erlaubniß in mein Zimmer - haben Sie nicht gehört, Sie sollen zum Platzmajor gehen?"

„Wer ist der Herr?" fragte Kurt den Lakaien, auf den General deutend.

„Herr - ich werde Sie in Arrest setzen, ich werde Ihnen Respect lehren - ich -"

Der General konnte vor Entrüstung und Wuth den Satz nicht vollenden.

„Es ist der General!" hatte der Lakei, welcher glaubte, daß Rochov wirklich in Zweifel sei, diesem zugeflüstert.

„Herr General," und Rochov trat einen Schritt auf ihn zu, „Herr General -"

Kurt wußte nicht, wie ihm geschah, Alles im Zimmer drehte sich vor seinen Augen.

„Er ist ohnmächtig!" rief Adele und eilte auf ihn zu, während der Lakai den Sinkenden auffing.

„Das fehlte noch!" brummte I. . . ., und froh, den Lästigen auf eine Weile los zu sein, begann er zu essen, während seine Frau und Tochter sich bemühten, Rochov in's Leben zurückzurufen. -

„Herr des Himmels!" schrie Adele, „er blutet!" und die von Blutstropfen feuchte Hand dem Vater hinweisend, rief sie: „Vater, Du trägst die Schuld, wenn er stirbt!"

Auf den Befehl der Generalin ward Rochov hinausgetragen und in die unteren Räume der Commandantur auf ein Lager gebracht, während ein Lakai den Arzt holte.

Es gelang den Anstrengungen der Dame nicht, Rochov aus der todesähnlichen Ohnmacht zu erwecken, die theils aus Erschöpfung und Blutverlust, theils aber auch durch die leidenschaftliche Aufregung erzeugt war, welche das Benehmen des Generals hervorgerufen.

Der Arzt fragte nach den Umständen, die der Ohnmacht vorhergegangen und bestätigte die letztere Vermuthung, er erklärte den Zustand des Patienten für bedenklich.

Umsonst machte die Generalin ihrer Tochter Vorstellungen, daß es sich für sie nicht passe, bei dem Kranken zu verweilen - das hochherzige Mädchen, dessen Gefühl durch das Benehmen ihres Vaters empört worden, erklärte, nicht von der Stelle zu weichen, bis die Gefahr vorüber sei.

Die Generalin sah sich genöthigt, dem Beispiele der Tochter zu folgen, bis der Arzt andeutete, daß der Kranke jetzt nur einer Wartefrau bedürfe, welche er bestellt habe, damit sie ihm Medicin reiche.

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