Die Geschichte der folgenden zwei Genossenschaften ist bisher relativ unbekannt, da über beide nur wenige schriftliche Belege, wie Aufsätze in zeitgenössischen Fachzeitschriften, existieren. Bei diesen Genossenschaften handelt es ich um Züchtervereinigungen, in den dargestellten Fällen ging es dabei speziell um die Rinder- und Pferdezucht.

Die Herdbuchgesellschaft "Kietz bei Küstrin und Umgegend"

Im Jahre 1901 gründete sich in Kietz die Herdbuchgesellschaft "Kietz bei Küstrin und Umgegend" (später auch "Zuchtverband für rotbuntes Ostfriesisches Vieh im Oderbruch"), ihr Zweck war die Förderung der Züchtung von "rotbunten Ostfriesen" (Rinderrasse). Die Gesellschaft hatte 34 Mitglieder und besaß 3 Bullen und 60 Kühe. Stand 1905 gehörte die Kietzer Herdbuchgesellschaft keinem Verband an. In Küstrin selbst hatte die "Herdbuchgesellschaft der nördlichen Neumark" mit 68 Mitgliedern. Sie verfügte über 44 Bullen und 785 Kühe.

Der 1902 gegründete "Verband der Herdbuchgesellschaften für schwarzbuntes Niederungsvieh in der Neumark" befand sich in Landsberg/Warthe. Ihm unterstanden im Jahre 1905 261 Mitglieder mit 87 Bullen und 1437 Kühen. Im Frühjahr und Herbst jeden Jahres veranstaltete der Verband Zuchtviehauktionen. Zu diesem Verband gehörten im Jahre 1905 die "Herdbuch-Gesellschaft für das Netzebruch" (gegr. 1890), die "Herdbuch-Gesellschaft für das Warthebruch" (gegr. 1891), die "Neumärkische Herdbuchgesellschaft" (gegr. 1896) und die "Oderbrucher Ostfriesen-Zuchtgenossenschaft" in Ortwig (gegr. 1900, siehe Foto).

Oderbrucher Ostfriesen-Zuchtgenossenschaft Ortwig

 

Gewerbe Ausstellung 0001Bei dieser Ausstellung im Jahre 1903 handelt es sich um die "Grosse Ausstellung für Landwirtschaft, Industrie und Gewerbe - Verbunden mit Bezirkstierschau für die Neumark". Sie fand zwischen dem 05. und 14. Juni des Jahres an der Zorndorfer Chaussee, auf dem Areal des späteren Pferdemarktes in der Nähe des Güterbahnhofes in der Kurzen Vortstadt statt.

Anlässlich dieser Ausstellung wurde neben der abgebildeten Siegelmarke auch eine Postkartenserie mit 3 Lithografien herausgebracht, die während der Ausstellung von der Reichspost auch mit einem Sonderstempel versehen wurden. Zwei Postkarten dieser Serie sind im Folgenden abgebildet:

 

Scan 0720 2

NeuePks 0155

Nun aber zurück zum Thema: Zweck dieser Herdbuchgesellschaften war die Zucht und Veredung von rotbuntem Niederungsvieh. Ziele waren unter anderem eine hohe Milchergiebigkeit, gesunde Tiere und Farbenreinheit. Dazu wurden sogenannte Herdbücher sowie Stammzucht- und Leistungsregister geführt, die Mitglieder durften zum Decken nur angekörte Bullen nutzen. Unter "Kören" versteht man die Bewertung der Tiere unter Nutzung eines festgelegten Punktekataloges, damals war das das "Brandenburgische Punktierverfahren". Zucht- und Nutzvieh wurde gemeinschaftlich erworben und verkauft. Man veranstaltete Tierschauen und nahm auch selbst an solchen teil. Am 07. Juni 1904 führte die Herdbuchgesellschaft in Kietz eine solche Tierschau durch, bei der vier Bullen, eine Kuh und 23 Färsen ausgestellt wurden. Von den 28 Tieren wurden 13 prämiert.

Die "Oderbrücher Weidegenossenschaft"

Im April 1902 gründete sich in Kietz mit der "Oderbrücher Weidegenossenschaft" die erste Weidegenossenschaft in der Provinz Brandenburg, sie hatte 39 Mitglieder, diese hielten zusammen 45 Anteile an der Genossenschaft. Am 14. April 1902 wurde die Genossenschaft unter der Nummer 18 ins Genossenschaftsregister des Küstriner Amtsgerichts eingetragen:

Der Gegenstand der Unternehmens ist die Förderung der Pferde- und Rindviehzucht durch Anlage und Bewirthschaftung einer Weidefläche auf gemeinschaftliche Rechnung und Gefahr. Haftsumme: 200 M; höchste Zahl der Geschäftsantheile: 20.

Vorstand:

  • Wilhelm Moller, Landwirth, Göritz a. .O.,
  • Friedrich Brutschke jun., Landwirth, Kietz,
  • Franz Kunert, Gutsbesitzer, Kietz.

Statut vom 5. April 1902. Bekanntmachungen erfolgen unter der Firma der Genossenschaft, gezeichnet von zwei Vorstandsmitgliedern, in der Frankfurter Oderzeitung. Die Willenserklärungen des Vorstands erfolgen durch zwei Vorstandsmitglieder.; die Zeichnung geschieht, indem die Zeichnenden zu der Firma der Genossenschaft ihre Namensunterschrift beifügen. Die Einsicht der Liste der Genossen ist während der Dienststunden des Gerichts Jedem gestattet.

Man pachtete eine Weide mit einer Größe von 34 ha. Die Weide wurde umzäunt und auf 4 Koppeln aufgeteilt. Die Mitglieder errichteten einen Schuppen und bohrten einen Brunnen. Im Frühjahr 1903 pachtete man weitere 25 ha hinzu. Ende 1904 hielten dann 54 Mitglieder 75 Anteile. Im Jahre 1902 befanden sich 56 Fohlen und 34 Jungtiere auf der Weide, 1903 waren es 37 und 1904 dann 48 Jungtiere. Die "Photographische Kunstanstalt" von Georg Schoppmeyer in der Küstriner Altstadt veröffentlichte sogar eine Bildpostkarte mit 3 Motiven der Genossenschaft. Die Kietzer Weidegnossenschaft muss zu diesem Zeitpunkt ein Erfolgsmodell gewesen sein, da im Januar 1904 die "Weidegenossenschaft Liebenwalde und Umgegend" in Liebenwalde (Kreis Niederbarnim) gegründet wurde. Für diese Gründung diente die Genossenschaft in Kietz als Muster.

Im Jahre 1916 schied der Landwirt Friedrich Brutschke jun. aus dem Vorstand aus; an seine Stelle trat der Gutsbesitzer Franz Zegenhagen, ebenfalls aus Kietz.

Weitere Existenznachweise der Oderbrucher Weidegenossenschaft findet man in den "Mitteilungen der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft" von 1907 und im Gewerbeadressbuch  "Deutsches Reichsadressbuch für Industrie, Gewerbe und Handel" von 1920. Am 5. Dezember 1928 wurde die Genossenschaft nach ihrer Liquidation aus dem Genossenschaftsregister gelöscht.

 

Quellen:

  • Zeitschrift für Agrarpolitik, Organ des Deutschen Landwirtschaftsrates, II. Jahrgang, 1904
  • Arbeiten der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft. Heft 108, Berlin, 1905
  • Die Rindviehzucht im In- und Auslande. Dargestellt von Dr. J. Hansen und A. Hermes, Erster Band, 1905
  • Der Boden und die landwirtschaftlichen Verhältnisse des Preußischen Staates, Siebenter Band, 1906
  • Mitteilungen der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft, 1907
  • Deutsches Reichsadressbuch für Industrie, Gewerbe und Handel, 1920
  • Von der Festungs- und Garnisonsstadt Cüstrin zum modernen Industriestandort Küstrin - Eine historische Betrachtung - (I), Dr. Rudolf Herbert Tamm, Königsberger Kreiskalender
  • Deutscher Reichs- und Preußischer Staats-Anzeiger, diverse Ausgaben
  • Abbildungen: Archiv Andy Steinhauf